1.004 km, 10 bis 11 Stunden Zugfahrt – ok, sind wir realistisch: 12 Stunden. 13 Stunden, wenn ich dazu noch gestehe, dass ich schon mal ganz knapp vor dem Ziel in den falschen Zug gestiegen bin.  Anders gesagt: Von einer kleinen Stadt in Bayern, direkt an der österreichischen Grenze, bis nach Flensburg ist es nicht gerade der kürzeste Weg. Was ich vor dem Umzug über Flensburg wusste?! Es liegt im Norden und dort werden Punkte gesammelt. Was ich seit meinem Umzug gelernt habe, ist so einiges.

Vom wasserfesten Lächeln und Sturmfrisuren

Zwangsläufig war eines der 9 Dinge, die mir als erstes begegneten, der norddeutsche Humor. Etwas derbe und direkt, aber dabei auch witzig und manchmal ironisch. Zugegeben, ich musste mich anfangs etwas an den Humor hier in Flensburg gewöhnen und wusste nicht, wie ich darauf reagieren soll.

Oft thematisiert, besonders auch von uns nicht gebürtig Norddeutschen: das Wetter. Man könnte das auch beschreiben als „so’n büschen Wind“. So habe ich vom Leben in Flensburg gelernt, dass selbst, wenn hier Windstille ist, eigentlich immer noch Wind weht.

Alles Gute kommt von oben, so sagt man zumindest. Demnach wäre der Regen in Flensburg ein wahrer Segen, kommt er nicht nur von oben, sondern wie es scheint sogar von allen Seiten. Wenn man schon nass wird, dann also wenigstens gleichmäßig. Bei dieser Flensburger Wetterkombination von Wind und Regen aus jeder Richtung kann ich den Schirm sowieso gleich zu Hause lassen und eine Investition in Gummistiefel und Taucherbrille ernsthaft in Erwägung ziehen.

Foto: Nicole Zehnder

Von „Moin“ nach „Servus“

Ebenfalls gelernt habe ich, dass die Entfernung meiner Nord-Süd-Reise-Achse auf unterschiedliche Weise darstellbar ist. Man kann zweieinhalbmal die Känguru-Chroniken anhören; drei – bis viermal ertrage ich den Nervenkitzel, ob der Anschlusszug erreicht wird oder nicht. 180 Stunden wäre ich zu Fuß unterwegs. Fünfzehnmal kann ich nach der ersten 45-minütigen Folge denken: „Ach, eine Folge geht schon noch.“

Grafik: Melanie Gdanitz

Kulinarische Highlights nördlich des Weißwurst – Äquators

Wenn man bedenkt, dass ich als Kind im Urlaub an der Ostsee mit großer Vorliebe Fischbrötchen ohne Fisch bestellt habe, grenzt es wohl an ein kleines Wunder, dass ich am Hafen sitzend bereits das ein oder andere Brötchen mit Fisch gegessen habe. Dazu ein Plopp, ein Schluck, ein Flens – getestet und für gut befunden. Neu war für mich allerdings die norddeutsche Vorliebe, Pizza und andere Speisen mit Sauce Hollandaise zu essen. Daran konnte ich mich auch trotz mehreren Testversuchen noch nicht gewöhnen.

„Warum bist du zum Studium nach Flensburg gezogen?!“ Diese Frage wurde mir seit meinem Umzug im September von den unterschiedlichsten Leuten sehr oft gestellt. Deswegen habe ich mir abhängig vom Humor des Gesprächspartners eine Auswahl an Antworten zurechtgelegt. Diese reichen bisher von „Ich wollte einfach nochmal weiter weg.“ und „Ich wollte nahe am Meer wohnen und in Flensburg einen Master machen.“ über „Weiter wollte ich nicht weg, das wäre ja dann wieder Ausland.“ bis zu „Ach, weißt du, ich habe einfach einen Dartpfeil auf die Deutschlandkarte geworfen.“

Von Schneekugeln, schönen Orten und Worten

Wenn die weißen Flöckchen fallen, verharrt ganz Flensburg im ersten Moment in einer winterschlafähnlichen Starre. Die Innenstadt wird zur 20er Zone, kaum dass der Asphalt von einer dünnen Schneeschicht bedeckt wird. Anscheinend dauert es ein bisschen, bis man sich hier daran gewöhnt hat, dass Schnee liegt. Doch hat Flensburg dann einmal die winterliche Gangart eingeschaltet, erinnert es an eine zauberhafte Schneekugel, in der Flocken wirbeln, Ski – und Schlittenspuren auf Straßen zu finden sind und vor allem die Hilfsbereitschaft das Herz wärmt.

Foto: Karen Bartel

Euer „Schnacken“ ist unser „Ratschen“

Im Alltag begegneten mir hier im hohen Norden viele Ausdrücke, die ich nicht oder nur aus anderen Zusammenhängen kannte. So wusste ich anfangs nicht, was ich von der Bemerkung, dass etwas Sünde sei, halten soll. Hatte ich vielleicht irgendwas verpasst?! Auch der Begriff „luschern“ ließ mich stutzen, genauso wie die Bemerkung „Das schockt.“ Was war denn schockierend?! Umgekehrt sorgte die ein oder andere meiner Aussagen für allgemeine Erheiterung. Ich komme aus Bayern – hört ihr ja gaaar nicht! Euer Knust ist unser Scherzal und Quatsch wird weiter südlich zu Schmarrn. Wenn ich sage, dass etwas „a gmahde Wiesn is“, dann meine ich lediglich, dass das Ergebnis einer Sache schon feststeht.

Hier in Flensburg sind die Ostsee und der Strand direkt vor der Haustür. 10 Minuten Fahrt, wenn überhaupt, ich würde eher sagen „dreimal Umfallen“. Mir ist seit meinem Umzug wieder bewusst geworden, dass man die gewohnte Umgebung oft gar nicht mehr richtig wahrnimmt und zu schätzen weiß. Gerade weil sie eben immer da ist. Ich muss mir nämlich eingestehen, dass die letzte Wanderung in den Bergen doch schon etwas länger her ist. Das muss sich wohl beim nächsten Besuch in der Heimat ändern und bis aufs Weitere heißt es, die Zeit in der Fördestadt zu genießen und zwar ganz bewusst.

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mm
Autor

mag Zimt, Zitate und Kurzgeschichten, würde gerne mal in ein Taxi steigen und sagen: "Bitte folgen Sie dem Wagen da vorne!"

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