„Super, vielen Dank, bis dahin!“ Gut drei Jahre ist es her, da kamen Sammy Moysich und Niklas Kildentoft aus dem Sportgeschäft in der Roten Straße. Gerade hatten sie 200 schwarze T-Shirts abgeholt, fair gehandelt und mit dem weißen Aufdruck „Wir sagen MOIN, Refugees Welcome“ bedruckt. 1.400 Euro kostete ihre Großbestellung, die T-Shirts sollten die Studenten innerhalb der nächsten zwei Wochen bezahlen. „Hast du eigentlich 1.400 Euro?“, fragte Niklas außer Hörweite des Ladens. „Nö. Du?“ „Nö.“

Manchmal spürt man, dass man zur richtigen Zeit das Richtige tut. Dann macht es auch nichts, Geld auszugeben, das man (noch) nicht hat. Wird schon. Schließlich bezahlen sich die T-Shirts quasi von ganz allein. Man muss sie nur noch an den Mann und an die Frau bringen, so der Plan.

Pragmatisch und beherzt zu handeln, wenn die Situation es erfordert, stand ab der ersten Sekunde fest in der DNA von „Wir sagen MOIN“ geschrieben. Die Geburtsstunde der Bewegung schlug am Abend des 1. September 2015 im Kaffeehaus. Ganz spontan, aber nicht aus einer Bierlaune, sondern einer inneren Überzeugung heraus, bestellten Sammy und Niklas die ersten 10.000 „Wir sagen MOIN“-Sticker und kritzelten den gleichen Slogan mit Edding auf ein großes Stück Pappe. „Am Anfang ging es uns nur darum, öffentlich Solidarität zu zeigen. Wir liefen mit einem selbst gemachten Schild durch die Gegend und haben Freunde gebeten, sich damit zu fotografieren und das Bild unter dem Hashtag #wirsagenMOIN hochzuladen, damit die Message viral geht“, erinnert sich Sammy. So wollten Niklas und er auch nach außen sichtbar machen, was sich die schweigende Masse wünscht: eine offene Gesellschaft, in der Menschlichkeit und Hilfsbereitschaft unabhängig von Herkunft, Glauben, Aussehen und Sprache aktiv gelebt werden.

1. September 2018: Flensburg macht sich stark für die Seenotrettung. Foto: Lars Salomonsen

2015: Als Flensburgs Bahnhof zum Schauplatz europäischer Politik wurde

Dass Flensburg diese Botschaft nicht nur als Pappschild, sondern auch im real life hochhalten kann, zeigte sich genau eine Woche später, als in der Nacht des 8. September 2015 der erste von unzähligen Zügen mit heimatvertriebenen Menschen die Stadt erreichte. Sie kamen aus Syrien, Eritrea, Afghanistan, Somalia oder dem Irak. Monatelang organisierten sich über einhundert ehrenamtliche Flensburger unermüdlich selbst, um tausende Menschen mit dem Nötigsten zu versorgen, was sie auf ihrer Flucht in Richtung Nordeuropa benötigten: Essen, Kleidung, ärztliche Hilfe, einen Platz zum Schlafen, Hilfe bei der Weiterreise, Kontakt zur Familie – eben unbürokratische Hilfe, wenn sie gebraucht wird. Am Flensburger Bahnhof konnte man erleben, was „Wir sagen MOIN“ bedeutet. Dass man sich dabei manchmal im rechtlichen Graubereich befand und den eigenen Kopf riskierte, um Menschen in ihrer Not zu helfen, die in der Gesetzgebung „durchs Raster fallen“, blieb dabei nicht aus.

Zusammen für die Seenotrettung

Drei Jahre später hat die Botschaft, geflüchteten Menschen mit dem gleichen „Moin“ zu begegnen wie dem besten Kumpel, nichts an ihrer Aktualität verloren. Denn noch immer verlassen Menschen ihr Zuhause auf der Flucht vor Krieg und Not. Allein im Jahr 2018 erreichten nach Angaben der UNCHR (United Nations High Commissioner for Refugees) 105.000 Asylsuchende Europa. Mindestens 2.000 verloren in diesem Jahr ihr Leben im Mittelmeer – und das sind nur die offiziellen Zahlen.

„Jeden Tag sterben Menschen im Mittelmeer. Boote von NGOs wie Jugend rettet und Sea-Watch, die Menschen in Seenot retten möchten, werden systematisch daran gehindert und ihr Handeln kriminalisiert. Das ist nicht akzeptabel und darauf wollen wir aufmerksam machen“, erklärt Sammy eine Reihe von Aktionen, die die Macher von MOIN mit anderen Akteuren, zum Beispiel der Flensburger Flüchtlingshilfe, der Kirche und einigen Parteien, zuletzt unter dem Motto „Seetember“ auf die Beine gestellt haben. Die meiste Aufmerksamkeit bekam dabei die Demo durch die Innenstadt mit anschließender Kundgebung am Hafen, an der sich 1.200 Bürger jeden Alters beteiligten oder die Aktion „Menschenrechte gehen baden“.

Sammy bei der Demo „Menschenrechte gehen baden“ im September 2018. Foto von Pay Numrich

Dass Flensburg nun als „sicherer Hafen“ gilt, ist auch der permanenten Präsenz und Öffentlichkeitsarbeit von MOIN zu verdanken. Längst kennt man den Slogan nicht nur an der Förde: Mittlerweile kleben die Sticker in 69 Ländern und auf jedem Kontinent. Bands wie Neonschwarz und Turbostaat tragen Wir sagen MOIN-Shirts bei Konzerten auf der Bühne, Comic-Künstler Kim Schmidt unterstützt die Initiative mit Zeichnungen und Oberbürgermeisterin Simone Lange legt ihren bedruckten Jute Beutel bei bundesweit ausgestrahlten Auftritten neben sich auf das Rednerpult. 12.369 Fans hat MOIN auf Facebook, 2.158 Follower bei Instagram. Und genügte bei der Gründung noch ein Tisch für zwei im Kaffeehaus, müsste nun wohl ein langer Familientisch her – denn MOIN ist mittlerweile ein Verein mit sieben Vorstands-Mitgliedern und vielen weiteren Helfern.

Gegen die Gewöhnung

Und warum das alles? „Wir wollen die positive Stimmung langfristig aufrechterhalten“, erklärt Sammy, der schon seit 2009 neben dem Studium beim Sterni-Park mit minderjährigen, unbegleiteten Geflüchteten arbeitet. MOIN ist für ihn und die anderen Ehrenamtlichen kein kurzes Projekt, sondern eine andauernde Notwendigkeit, der sie sich verschrieben haben. Denn was schleichend in manchen anderen deutschen Städten oder z.B. in der österreichischen Politik geschieht, wo man sich zukünftig verstärkt auf seine eigenen Probleme, die Stärkung der Wirtschaft und die nationale Sicherheit konzentrieren will, man könne ja schließlich nicht alle aufnehmen, soll in Flensburg nicht passieren. „Mit MOIN wollen wir etwas Positives aussenden, ein Wort, das nicht negativ belastet ist, das ein Gefühl von Heimat und Zuhause vermittelt und das jeder kennt – über alle Generationen und Typen hinweg, vom Punk bis zum Hippie“, erklärt Lennart Adam, der ebenfalls ein Teil des Vereins ist.

Der NDR bezeichnete Flensburg in einem Fernsehbeitrag am 29. September als Vorzeigestadt, in der die AfD bei der Kommunalwahl 2018 keinen Kandidaten stellte und wo die 3.000 hier lebenden geflüchteten Menschen u.a. durch die Flüchtlingshilfe Flensburg e.V., in der Niklas als Geschäftsführer arbeitet, Unterstützung im Alltag erhalten. Dass hier die offene Stimmung einmal kippt und ins Negative umschlägt, ist unvorstellbar. Weil das aber nicht selbstverständlich ist, macht sich MOIN seit drei Jahren dafür stark, dass das auch so bleibt. Denn Medien, die zum großen Teil für die Information und Meinungsbildung ausschlaggebend sind, haben ein „Gesetz“: Sie können nicht immer das gleiche berichten. Themen, die sich andauernd wiederholen, werden als uninteressant empfunden, als ewiges Wiederkauen von etwas, das man schon längst weiß. Wer sich wiederholt, findet kein Gehör. Wer nicht entertaint wird, schaltet weg. Der Mensch kann nichts dafür, wenn Routinen ihn abstumpfen. Und so versickert der stete Tropfen, der eigentlich den Stein höhlen soll, stumm im Boden des Desinteresses. Eine neue Story hingegen, eine, die noch nicht da war, hat es wesentlich leichter. So ist es einfach zu verstehen, weshalb das Drama um ein junges Fußballteam, das zweieinhalb Wochen bei heftigem Regen in einer thailändischen Höhle gefangen ist und sich nicht aus eigener Kraft aus seiner Misere befreien kann, weltweit Mitgefühl weckt. Dass jedoch bereits seit Jahren täglich unzähligen Menschen im Mittelmeer ebenso das Ertrinken droht, ist zwar bekannt – und trotzdem beschäftigt man sich nicht mehr aktiv damit, ist emotional nicht involviert. Diese Berichte sind so alltäglich geworden, dass sie paradoxerweise im alltäglichen Bewusstsein nicht mehr vorkommen.

Es ist nicht leicht, sich immer und immer wieder zu vergegenwärtigen, was die Worte bedeuten, die Nachrichtensprecher von ihrem Teleprompter ablesen, denn Zahlen und Fakten machen blind für das, was wirklich geschieht. Doch im realen Leben gelten nicht die gleichen Regeln wie in der Medienwelt. Berichte über Opferzahlen sind niemals alltäglich, nur weil sie sich wiederholen. Sitzen 114 Menschen in einem Boot, sind das 114 Väter, Mütter, Söhne, Töchter, beste Freunde, Nachbarn und Kollegen, die sich selbst einem tödlichen Risiko aussetzen, um zu überleben und Frieden zu finden.

Über die medialen Grenzen hinaus

Auch wenn die ganz großen Bilder längst gesendet sind, die Akut-Hilfe am Flensburg Bahnhof beendet, die Kleiderkammer geschlossen und der Medientrubel vorbei – die Realität ist es nicht. Solange überhaupt darüber diskutiert wird, ob Menschen, die in Seenot sind, gerettet und an Land gebracht werden dürfen, solange NGOs für ihren Einsatz angeklagt werden, weil ihnen Klüngelei mit Schleppern vorgeworfen wird und solange Menschen auf Flucht sind, macht sich MOIN dafür stark, dass Flensburg für jeden, der es möchte, zum Zuhause wird.

Und um die Geschichte vom Anfang des Artikels aufzulösen: Sammy und Niklas haben kein Hausverbot bekommen und müssen auch keine Schulden im Sportladen abstottern: Die T-Shirts waren nach acht Tagen vergriffen. Der Erlös von 3.000 Euro ging als Spende an die Bahnhofshilfe.

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mm
Autor

sortiert ihren Kleiderschrank nach Farben, ekelt sich vor Federn, hat eine „Emu-Gnu-Schwäche" und immer ein Paar Gummistiefel im Kofferraum.

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