„Unser Leben ist eine Abfolge fotogener Momente.“ – So beschreibt Sophie Linnenbaum, Gewinnerin des Publikumspreises 2017 in der Kategorie Fiktion, ihren Kurzfilm „PIX“. Auf Nachfrage von zeile_9 erklärt die Filmemacherin, dass sie sich in ihren Filmen gerne spielerisch mit den scheinbar kleinen Fragen des Alltags beschäftigt. Dabei spielt das Bild einer Person, das diese von sich selbst oder der Gesellschaft hat, eine große Rolle.
Momente zum Festhalten
Der Ausgangspunkt für Sophie Linnenbaums Kurzfilm PIX ist so banal wie geistreich: Auf einer Hochzeit wurde eine Diashow mit Kinder- und Jugendfotos des Brautpaars gezeigt, um zu beweisen, dass sie schon immer so perfekt zusammenpassen. „Einschulung, Kindergeburtstag, Weihnachtsfest – es waren Fotos, die jeder von uns hat und da dachte ich mir ‚Super, da können wir ja alle gleich mitheiraten!’“ Das ließ sie nicht los und sie schenkte diesem scheinbar kleinen alltäglichen Moment mehr Aufmerksamkeit.
„Unsere Lebensabbildungen in Fotos sind so voller spannender Paradoxe. Dass die vermeintlichen besonderen Momente unseres Lebens, die sind, die wir mit allen anderen teilen. Oder dass wir den Moment festhalten wollen, aber nur im Guten: Wir kennen alle den wirklich miesen Urlaub, aus dem man dann doch mit ein paar Grinsefotos zurückkommt.“
Die Mundwinkel ziehen wir manchmal nur für das Foto nach oben und wenn wir nicht mehr von der Kamera beobachtet werden, ist auch unser Lächeln wieder ausgeknipst. Erst im Nachhinein wird der Moment aufgewertet und wir fotoshoppen unsere Erinnerung. Sophie greift das mit einer ihrer Aussagen auf. „Ich lächele unwahrhaftig und denke später, ich hatte Spaß.“ Sie erklärt, dass wir auf Bildern oft lachen, unabhängig davon, wie der Moment gerade ist. Beim Betrachten der Fotos erzählen wir uns, dass unser Lachen nicht gestellt oder diese Erinnerung womöglich doch ganz schön war.
#no filter?!: Selbstbild vs. Fremdbild
Die Frage nach der Selbstdarstellung in sozialen Medien greift Sophie ebenfalls auf. Bevor wir etwas im Internet posten, machen wir uns oft viele Gedanken darüber und wählen Fotos sorgfältig aus. So bekommt die Außenwelt einen Eindruck davon, wie wir uns sehen oder vielleicht auch gerne gesehen werden wollen. Umgekehrt treffen wir online auf die Geschichten, die unsere sozialen Kontakte mit ihren Fotos über sich erzählen. Sophie meint dazu: „Ich glaube, dass es uns unter Druck setzt, ständig die scheinbar perfekten Leben anderer Menschen vor Augen gehalten zu bekommen und uns daran zu messen. Auf der anderen Seite vermute ich einen positiven Effekt auf die Stimmung, wenn wir uns die schönen (oder scheinbar schönen) Erinnerungen vorhalten, auch wenn diese im Moment der Entstehung vielleicht nicht ganz wahr waren.“
„Deine eigenen Lügen machen dich glücklich, die Lügen der anderen unglücklich“.
Ebenfalls bewusst zugespitzt und provokant beschreibt die Filmemacherin in einem Interview (SR), dass wir prototypisch gesehen alle die gleichen Bilder haben, wenn wir sie mal nebeneinandergelegt vergleichen würden. Darauf angesprochen erklärt sie, dass sich diese Aussage auf das stereotypisch westlich heteronormative Leben der Mittelschicht bezieht. „Also im Prinzip das, was uns medial eh ständig um die Ohren gehauen wird. Wenn man dann die Fotokisten durchwühlt, stößt man schon immer auf die gleichen Bilder. Mutter hält Kind, Kind lernt laufen, Kindergeburtstag, Einschulung.“
Zwischen Schlafen und Wachrütteln
Zwar beschäftigt sie sich beruflich viel mit Bildern, entweder in Form von Fotos oder bewegtem Bildmaterial, privat postet Sophie jedoch kaum Fotos in ihren Profilen in den sozialen Netzwerken. Die Fotos, die sie veröffentlicht, stehen in Bezug zu ihren Filmen. Als Grund dafür nennt sie mit einem Augenzwinkern, dass sie es nicht gut fände, sich privat so in die Welt hinauszuschreien. Sie fügt aber auch an, dass durch die Fotos, die sie mit anderen teilt, ein relativ einseitiges Bild von ihr entsteht. „Man bekommt das Gefühl, ich würde immer nur drehen oder auf irgendwelchen Festivals rumgurken. Ich sollte mehr schlafende Bilder von mir posten.“ Als Antwort auf die Frage, welche Art von Fotos sie sich häufiger wünschen würde, führt Sophie an: „Ich begrüße alles, was den sozialen Druck nimmt und was Menschen eine Stimme und ein Gehör gibt, die sonst leicht übersehen werden. Und ich könnt‘ dauernd narrisch werden, wenn ich sehe, welcher sexistisch rassistische Bockmist in Bildern immer und immer wieder reproduziert und hochgehalten wird.“
Von Fotoschnipseln und Schnipsen fürs Foto
Fotos hat Sophie lieber ausgedruckt in der Hand anstatt diese nur als Datei auf einer Festplatte aufzubewahren. Grund dafür ist vor allem ihr Bedenken, Dinge zu verlieren oder zu vergessen. So würde sie am liebsten ganze Filmszenen ausdrucken und in die Tasche stecken. Wenn zeile_9 mit Sophie ein gemeinsames Foto für das Interview gemacht hätte, wäre das auf ihren Wunsch hin eine Neuinterpretation oder Nachstellung eines alten Lieblingskinderbildes geworden. Oder zumindest der Versuch, etwas in der Richtung zu machen. Besonders in Erinnerung geblieben sind der Filmemacherin ein paar Momente und Vorfälle vom Dreh.
„Irgendwann konnten alle auf Kommando Lächeln, wenn ich geschnipst habe. Es war relativ nervenaufreibend alle Darsteller zusammen zu kriegen, vor allem die Kinder, die sich ja in verschiedenen Altersstufen irgendwie ähnlich sehen mussten. Dafür stand ich dann tagelang vor dem Kino und habe auf das Ende von Kindervorstellungen gewartet, um dann kleine blonde Jungs zu stalken. Creepy.“
Sophies Film PIX in drei Worten? „Mensch, Bild, Fabrik“
Wer PIX auf den Flensburger Kurzfilmtagen verpasst hat, kann hier einmal einen Blick hinter die Kulissen werfen: