Über Propellerschäden, schmelzende Gletscher und intensive Gefühle

Kristian Reincke aus Flensburg war im Sommer 2018 zwei Monate lang mit Arved Fuchs auf einer Polarexpedition. Von Island segelte er mit der Crew nach Grönland, wo er Wale, Eisberge und die hiesige Kultur kennenlernte. Mit zeile_9 hat er darüber gesprochen, welche Untersuchungen die Gruppe im Zeichen des Klimawandels und Umweltschutzes gemacht hat und wie ihn die intensiven Momente geprägt haben. 

Die Dagmar Aaen in arktischen Gefilden. Der Traditionssegler ist ein ehemaliger Haikutter. Arved Fuchs kaufte das Schiff 1988 und baute es zu einem Expeditionsschiff mit zusätzlicher Eisverstärkung um. Foto: Archiv Arved Fuchs Expeditionen

Kristian, du warst bei der Expedition „Ocean Change“ dabei. Wie kam es dazu? 

Seit ungefähr drei Jahren bin ich bei verschiedenen Touren immer mal wieder an Bord. 2015 war ich für drei Monate bei der ersten „Ocean Change“ von Patagonien zu den Azoren dabei, letztes Jahr bei einer privaten Sommerreise und in diesem Jahr war es dann der natürliche Schluss mitzukommen. Zum Glück ließ es sich wieder mit meinem Job vereinbaren. 

Wie muss man sich das genau vorstellen? Hat Arved Fuchs dich angerufen und gefragt, ob du wieder mitwillst? 

(Lacht) Ich gehöre zur Stammcrew, die aus 30 bis 40 Leuten besteht und werde, wie die anderen, regelmäßig über die nächsten Reisepläne informiert. In Zusammenarbeit mit der Crew entwickelt Arved Fuchs dann die genaue Zusammensetzung und die Reisepläne.  

Was hat dich an der Expedition gereizt? 

Einerseits natürlich das Segeln, insbesondere auf Traditionsschiffen. Aber vor allem waren es auch mein Interesse an den Inhalten der „Ocean Change“.  

Worum ging es denn bei der Expedition? 

Die Expedition verfolgt das Ziel den Wandel der Meere zu dokumentieren, insbesondere aus der Umweltperspektive. Auf dieser Reise haben wir uns drei Aspekte herausgesucht, die wir beobachten wollten: den Klimawandel, die Plastikverschmutzung und die Schallverschmutzung der Meere (durch beispielsweise Schiffsverkehr oder Offshore-Windkraftanlagen).  

Die Tests haben wir so wissenschaftlich wie möglich durchgeführt und die Ergebnisse dokumentiert. Die Crew bestand ja nicht nur aus Wissenschaftlern, sondern war sehr divers. Ich persönlich habe das Thema Plastikverschmutzung mit vorangetrieben. Dabei haben wir vor allem in Zusammenarbeit mit dem Alfred-Wegener-Institut verschiedene Untersuchungen durchgeführt. Zum Beispiel haben wir Strandabschnitte auf Plastikpartikel untersucht und während der Fahrt Plastikteile, die neben dem Schiff auftauchten mit ihrer genauen Position und Größe dokumentiert.  

Kristian und Caro sortieren und dokumentieren Fundstücke eines Strandabschnitts auf Helgoland.
Foto: Archiv Arved Fuchs Expeditionen

Und wie sahen die Untersuchungen zu den Aspekten Klimawandel und Schallverschmutzung aus? 

Den Aspekt Klimawandel dokumentiert Arved ja schon seit vielen Jahren auf verschiedene Art und Weise. Auf dieser Tour haben wir auf der einen Seite Wetterdaten, wie zum Beispiel die Temperatur, gemessen. Auf der anderen Seite haben wir im Norden Grönlands verschiedene Gletscher besucht und fotografisch dokumentiert. Von vielen Gletschern gibt es bereits Aufnahmen aus vergangenen Jahren und so können wir die Veränderung durch den Klimawandel ablesen. Die Schallverschmutzung haben wir in Zusammenarbeit mit dem itap-Institut aus Oldenburg untersucht.  

Ist die Expedition jetzt bereits abgeschlossen 

Nein, die Expedition ist noch nicht vorbei. Das Schiff liegt im Moment auf Island in Húsavík zum Überwintern. Da wir unterwegs zweimal Schäden hatten, wird die Zeit jetzt auch dafür genutzt alles zu analysieren, damit diese Dinge im Fortverlauf der Reise nicht wieder Probleme machen. Aber der Name „Ocean Change“ ist im Prinzip ein fortlaufender Titel für Expeditionen, die den Wandel der Meere in verschiedenen Regionen der Welt dokumentieren soll. Der Plan ist, dass die Expedition nächstes Jahr in der gleichen Region, also in Grönland und Kanada, weitergeführt wird.  

Mit welchen Schäden am Schiff ward ihr konfrontiert? 

Kurz bevor ich einsteigen sollte, also kurz vor Grönland, ist die Zugstange gebrochen. Die Zugstange ist dafür da den Winkel der Propellerblätter zu verstellen und wenn die kaputt ist, ist das Schiff im Prinzip manövrierunfähig. Weil es auf Grönland nicht die nötige Infrastruktur und überhaupt ausreichend ausgestattete Häfen gibt, musste die Crew 100 Meilen vor der Küste Grönlands, also etwa einen Tag, vor der Küste umkehren und ohne Unterstützung der Maschine zurück nach Island segeln. 

Das hat natürlich relativ lange gedauert, weil man zu 100 Prozent auf den Wind angewiesen war. In einer Werft in Keflavík in der Nähe von Reykjavík konnte das Schiff nach einer Woche Wartezeit aus dem Wasser geholt und innerhalb von zwei Tagen repariert werden. Die nötigen Ersatzteile habe ich aus Deutschland im Flugzeug mitgebracht und bin dann statt in Grönland auf Island eingestiegen. Das hat dazu geführt, dass wir mit zirka drei Wochen Verspätung losgefahren sind und unser Zeitplan, den wir uns für Grönland gesetzt haben, relativ eng war.  

Arved Fuchs und Kristian bei Reparaturarbeiten auf Island.
Foto: Archiv Arved Fuchs Expeditionen

Abgesehen vom Ziel der Reise und den technischen Voraussetzungen: Was hast du während der Reise über dich selbst gelernt?  

Da es nicht meine erste Reise war, wusste ich natürlich ein Stück weit, worauf ich mich einlasse. Auf jeden Fall bekommt man auf diesem Schiff einen Intensivkurs für das soziale Zusammenleben unter widrigen Bedingungen. Die Crew war sehr divers was z.B. Alter, Beruf oder private Interessen angeht. Deshalb muss man lernen, in diesem komplett neuen Umfeld miteinander klarzukommen. Das funktioniert nur, wenn man sich zurücknimmt und die eine oder andere Marotte unterdrückt. Sonst eckt man einfach zu schnell an. Man hat mit extremem Wetter, Seekrankheit und Müdigkeit zu kämpfen. Da ist man natürlich viel gereizter und die Gefühle sind viel extremer als im Alltag. 

Auf diesem Schiff bekommt man einen Intensivkurs für das soziale Zusammenleben unter widrigen Bedingungen.

Hat dich die Reise verändert? 

Wenn man unter so spartanischen Bedingungen wie auf diesem Schiff lebt, muss man ziemlich viel Verzicht auf sich nehmen. Damit meine ich den engen Raum, den eigenen Anspruch auf Hygiene, Essensgewohnheiten und eigentliche jeglichen Komfort, den man normalerweise genießt. Immer wenn ich dann wieder zurückkomme, weiß ich ganz fundamentale Dinge viel mehr zu schätzen, wie eine Dusche oder ein Bett, in dem man sich komplett ausstrecken kann.  

Gab es Extremsituationen, in denen du Angst hattest? 

Dieses Mal ging es eigentlich ganz gut, weil ich schon öfter auf dem Schiff war. Aber als ich das erste Mal an Bord war und wir von Patagonien die südamerikanische Küste hochgesegelt sind, hatten wir gleich zu Beginn sehr schweres Wetter mit viel Wind, sieben bis acht Meter hohen Wellen und extremer Kälte. Das hat mir nicht richtig Angst gemacht, aber man ist dann schon sehr vorsichtig und gehemmt. Anders als auf einem Kreuzfahrtschiff trägt man ja während seiner Wache sehr viel Verantwortung – und das acht Stunden am Tag, nachts, am anderen Ende der Welt und weit und breit nur Meer.  

Auf dieser Reise war es gar nicht der Sturm, sondern eher der Nebel. Die große Gefahr ist dann, dass man Eisberge rammt. Man ist auf technische Hilfsmittel wie den Radar angewiesen. Es ist wichtig, dass man da alles korrekt macht. Es sind sehr intensive Momente, in denen man hellwach sein muss, obwohl man eigentlich viel lieber schlafen will, um diese schwierige Navigation zu meistern. Dann ist man einfach angespannt. 

Was sollte man charakterlich mitbringen, um bei so einer Tour mitmachen zu können? 

Man muss einerseits mit sich selbst gut zurechtkommen. Denn obwohl man mit vielen Leuten auf engem Raum zusammen ist, ist man oft auf sich allein gestellt. Der Schiffsalltag ist ziemlich fordernd, weil man zum Teil wenig schläft und jeder 24 Stunden am Tag für irgendwas verantwortlich ist. Wenn man Wache hat, schlafen die anderen. Daher ist es wichtig selbstständig zu sein. 

Man darf auf keinen Fall an so eine Reise herangehen und sagen ‚Ich bin hier Gast an Bord und lass‘ mich mal durch die arktischen Regionen chauffieren.‘ 

Auf jeden Fall ist auch Verantwortungsbewusstsein wichtig, wenn man z.B. während seiner Wache die Schiffsführung in der Hand hat. Man darf auf keinen Fall an so eine Reise herangehen und sagen „Ich bin hier Gast an Bord und lass‘ mich mal durch die arktischen Regionen chauffieren“. Es ist ein ganzes Stück Arbeit und dessen muss man sich bewusst sein. Ich habe danach immer das Gefühl, dass ich erstmal Urlaub von dieser Expedition brauche, obwohl es ja eigentlich Urlaub für mich ist. Aber durch die Schlaflosigkeit und die hohe Verantwortung, die man trägt, ist es vielleicht oft  anstrengender als der normale Arbeitsalltag. Selbst wenn man im Hafen ist, gibt es immer Dinge zu reparieren. Das ist ein Fulltime-Job.  

Außerdem muss man die Hierarchien, die es in der Schifffahrt gibt, akzeptieren und leben. Wenn die Zeit dafür da ist, werden auch Entscheidungen gemeinsam getroffen. Aber wenn es darauf ankommt, z.B. wenn ein Sturm aufkommt, hat nur einer das Sagen und jeder muss wissen, auf wen zu hören und was zu tun ist.  

Was hat dich auf der Tour am meisten geprägt?  

Da muss ich kurz überlegen. Ich kann vielleicht erzählen, was mich erschrocken und traurig gemacht hat: Grönland ist ein sehr spannendes Land – durch die Zugehörigkeit zu Dänemark und die sehr kleine Bevölkerung, die ursprünglich von der Jagd lebte. Durch den Einfluss der westlichen Welt wurde den Grönländern mit der Jagd ihre Lebensgrundlage und alles, womit sie sich identifiziert haben, genommen. Heute gibt es Supermärkte, wo sie sich dänisches Fleisch aus Massentierhaltung für kleines Geld kaufen können. Es gibt es ein starkes Problem mit Alkohol und Arbeitslosigkeit. Obwohl man das schon wusste, hat es mich sehr nachdenklich gestimmt zu erleben wie eine ganze Nation und Kulturgeschichte abgehängt und ihre Identität durch die westliche Welt ein Stück weit aus den Angeln gehoben wurde. Es ist etwas, was in unserer globalisierten Welt einfach so am Rande passiert und es interessiert keinen so richtig. Das ist eine wahnsinnig traurige Geschichte. 

Basstölpel beim ersten Stopp auf Helgoland. Beim Nestbau verwenden die Vögel immer wieder Plastikmüll, der im Meer treibt. Darin können sie sich verheddern und erdrosseln. Auch in den Mägen von Basstölpeln und anderen Seevögeln findet sich Plastik – Eine tödliche Gefahr für die Tiere.
Foto: Archiv Arved Fuchs Expeditionen

Was mich auch sehr traurig gemacht hat, sind die Ergebnisse aus den Untersuchungen, die wir gemacht haben. In dieser nahezu unbewohnten Region sieht man an allen Ecken die Verschmutzung durch Plastik. Oder man sieht Gletscher, die vor einiger Zeit noch ganz anders ausgesehen haben. Die wenigsten Grönländer und vor allen Dingen nicht die Natur kann etwas dafür. Wenn ich da hinkomme, finde ich alles beeindruckend und wunderschön. Gleichzeitig höre ich die Zeitzeugenberichte von Arved, der vor 20 bis 30 Jahren in diese Regionen gefahren ist, wie das Eis zur gleichen Zeit vollkommen andere Ausmaße hatte. In vielen Regionen, in denen wir jetzt entspannt gefahren sind, war früher das Segeln unmöglich. Das hat mich sehr betroffen gemacht. Der Klimawandel findet im arktischen Raum mit einer ganz anderen Geschwindigkeit statt und das macht es dort so sichtbar. Alles, was wir hier diskutieren, spüren wir noch nicht so richtig. Aber da oben ist der Klimawandel zum Anfassen nah.  

Das letzte, was mich auch sehr erschrocken hat, ist, dass es in dieser Region einen wahnsinnigen Boom an Expeditionskreuzfahrtschiffen gibt. Das sind zwar nicht so große AIDA-Dinger, aber es sind auch riesige Schiffe mit 200 bis 300 Passagieren. Wenn die Kreuzfahrtpassagiere die kleinen Orte im Norden besuchen, übersteigen sie die Bevölkerungszahl dort zum Teil um ein Vielfaches. Und das hat natürlich auch extreme kulturelle Auswirkungen. Die Bevölkerung lebt in sehr einfachen Verhältnisse und dann kommt da so ein 5-Sterne-Kreuzfahrtschiff mit reichen Deutschen oder Amerikanern, die sich zum Teil auch entsprechend benehmen.  

Und was waren die schönsten Erlebnisse? 

Das schönste Erlebnis war, als wir zum ersten Mal einen Eisberg gesehen haben. Auf dem Weg nach Grönland haben wir ihn ungefähr 70 Meilen vor der Küste in ganz weiter Ferne entdeckt. Das war am Abend nach einem sonnigen Tag. Der riesige Eisberg sah aus der Ferne winzig klein aus und stand genau unter der roten Sonne, die am Horizont verschwand. Das war ein Moment, der mich emotional sehr stark berührt hat. Ich weiß gar nicht genau warum, weil man natürlich weiß, wie Eisberge aussehen und auch dass man in dieser Region einige sehen wird. Auch später haben wir kilometergroße Eisberge gesehen und sind ganz nah daran vorbeigefahren. Aber dieser erste winzige Punkt am Horizont war für mich ein sehr intensives und emotionales Erlebnis.  

Ein ähnliches Gefühl hatte ich an einem Abend, an dem wir nur zu zweit an Deck waren und um uns herum plötzlich ganz viele Grindwale waren. Die sind über eine Stunde in verschiedenen Formationen mit uns mitgeschwommen. Es war ruhige See, wir sind ohne Maschine gesegelt und weit und breit war sonst niemand. Das war eine ganz besondere Stimmung. Dieses Gefühl von Glück und Frieden ist nicht durch irgendetwas gekommen, was ich getan habe, sondern war einfach da. In diesem Moment mittendrin und ganz allein zu sein, war ein ganz besonderes Gefühl. Das waren zwei Momente von vielen anderen schönen Momenten, die mich sehr berührt haben.  

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Autor

hat eine Schwäche für Katzen-Gifs und Brokkoli-Pizza mit Sauce Hollandaise, in der Grundschule wurde sich über ihre Verträumtheit und ihre Tendenz Aufgaben besonders schön anstatt schnell zu lösen moniert. Aber damit hat sie sich mittlerweile abgefunden.

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