Milchreis aus Sandalen löffeln, Hornhautraspeln, Haarmischmasch aus dem Duschabfluss oder der gute alte Peniskäfig. Die Liste an Fetischen ist lang und klingt als entspränge sie der Feder eines übereifrigen Pornoautors. Aber fährt da echt jemand drauf ab? Und wenn ja, warum zur Hölle? Cam-Girl und Glücksfee der Fetisch-Community Sarah bringt etwas Licht ins Dunkel.

„‘Zwei rattenscharfe Videos mit Gurke und Möhre. Cremig und spritzig geht‘s zu.‘ – Ich weiß gar nicht, was ich hiervon ehrlich vorlesen soll“, gesteht Sarah mit einem breiten Grinsen im Gesicht. Routiniert scrollt sie den Thread von crazyslip.com durch. Was einst als Forum zum Verkauf von getragenen Schlüpfern angefangen hat, ist jetzt Sammelbecken für Fetischisten aller Art. Sarah ist nur eine von vielen, die dort ihre Dienste als Cam-Girls anbieten.

Okay, klingt erst einmal nach einem interessanten Job, aber wie kommt man auf so etwas? Auch in Sarahs Fall nahm alles seinen Lauf mit der Idee, getragene Unterwäsche zu verkaufen. Darauf kam sie ganz unspektakulär beim Witzeln mit Freunden. Die einhellige Meinung: Eigentlich könnte man ja seine Unterwäsche verkaufen, ist leicht verdientes Geld. In der Theorie fein, aber im Endeffekt, macht es doch wieder keiner – und dann ist da ja noch dieses Schamgefühl. Aber was ist so ein kleines bisschen Scham schon gegen ein großes bisschen Pleite sein? Ergo, als das Geld am Monatsende wieder mal knapp wird, fasst Sarah den Entschluss, googelt und stößt auf die Seite crazyslip.com. Trotzdem dauert es noch ein Jahr bis die Entscheidung fällt, sich als Premiummitglied anzumelden. Erst jetzt hat Sarah Zugriff auf die Chatfunktion, kann Kontakte knüpfen, E-Mails schreiben und empfangen. 25 Euro kostet das im Monat. Das Geld aber hat man schnell wieder rein, versichert Sarah. Alleine an ihrem ersten Abend verdient sie 90 Euro – vor allem weil sie „Frischfleisch“ ist. Ihr erstes verkauftes Produkt: ein Zigarettenstummel.

Nägel von Fingern: 10 Euro. Foto: Sarah Witsch

Aber, was zunächst aussieht wie leichte Arbeit, ist hart verdientes Geld. Es ist zeitintensiv, sich mit Kunden auszutauschen, Deals auszuhandeln, die am Ende nicht zustande kommen oder ganz generell Kontakte zu pflegen. Sarah muss ständig präsent sein, aktiv und abrufbar. Je nachdem, wie viel Zeit sie investiert, verdient sie 300 bis 500 Euro im Monat – ein vollwertiger Minijob eben. Nach zweijähriger Tätigkeit in der Fetisch-Community ist sie mittlerweile Profi im Verkauf verschiedenster Leistungen. Seien es die Dauerbrenner Periodenblut, Finger- und Fußnägel oder Urin. Für getragene Unterwäsche nimmt sie 20 Euro pro Slip, den sie einen Tag lang getragen hat, 70 Euro für einen dreitägigen. Neben diesem Standardrepertoire gibt es hier und da auch mal eine Sonderanfrage. Einmal verschickte Sarah das Restwasser aus ihrem Klobürstenhalter – für 20 Euro. Die Ansage des Kunden: „Schick mir das Widerlichste, was dir einfällt.“ Gesagt, Getan. Offensichtlich ist die Liste an Vorlieben lang und ebenso Sarahs Register. Auf die Frage, ob sie sich nicht ekele, reagiert sie locker:

„Das gibt der Körper einfach so gratis her. Das ist voll geil. Ich hab überhaupt keine Kosten.“

Wo sie Recht hat…

So gilt bei allem, was auf dieser Seite kursiert: ausgefallener geht immer. Und so gibt es keinen Kundenwunsch, den es nicht gibt. Die wohl beeindruckendsten Fetischisten, mit denen Sarah zu tun hat, sind die sogenannten Geldsklaven. Geldsklaven? Sarah erklärt: Sie bittet um einen gewissen Betrag und der Geldsklave überweist ihn ihr. Das ist alles? „Da sagst du ab und zu mal: ‚Ey, ich möchte mir jetzt einen Ethnotek-Rucksack kaufen, der kostet 90 Euro, schick mir mal das Geld und mein Freund braucht neue Schuhe, schick mir da auch nochmal 50 Euro‘ und dann macht er das und ich kauf mir einen Ethnotek-Rucksack.“ Zugegeben, dieser Fetisch klingt zu schön, um wahr zu sein. „Ganz schwer zu bekommen“, wirft Sarah mit einem Grinsen ein.

Wer jetzt aber denkt, das ist das Ende der Fahnenstange, oder gar bereits das ein oder andere Mal die Nase rümpfen musste, sollte den kommenden Absatz überspringen. Denn neben diesen vergleichsweise harmlosen Anfragen erfreuen sich auch pikantere Fetische anhaltender Beliebtheit. „Man muss da echt was abkönnen. Auch was die da haben wollen. Man muss auch extreme Sachen anbieten.“ Was genau Sarah damit meint, wird unmittelbar klar – Stichwort: Kackekekse!

Zuallererst: Bei allem, was mit Kot zu tun hat, zieht Sarah den Schlussstrich. Dennoch, die Neugierde ist geweckt: Wie zur Hölle backt man besagte Kekse? Worte wie Streusel, Baiser und Fladen fallen. Sarahs trockene Einschätzung zu dem Thema: „Das geht mir auch echt zu weit. Ich hab mal Hundekekse gebacken. Die ganze Bude hat gestunken, da mach‘ ich doch da nicht noch Kacke rein.“ Kot ist aber nicht nur als Keks, sondern auch in Reinform gefragt. So schickt die Deutsche Post nichtsahnend reihenweise Tupperdosen-Pakete mit besagtem Inhalt quer durch Deutschland. Auch digital geht: „Jeder zweite Typ fragt, ob man ihm ein Video beim Kacken macht.“ Nun gut, genug dazu.

Im Badezimmer wartet ein ungeahnter Nebenverdienst. Restwasser aus dem Klobürstenhalter: 20 Euro. Foto: Sarah Witsch

Ob man diese Fetische nun nachvollziehen kann oder nicht, sie werfen die Frage nach den Menschen auf, die sich in so einem Forum tummeln. Geht es um Fetisch, hat der Normalo meistens den jungfräulichen Mitt-30er, der-bei-Mutti-wohnt-Stereotyp vor Augen. Oder den Karrieremann in leitender Position, der in seiner Freizeit gerne erniedrigt wird. Aber kann man alle User wirklich so klischeehaft herunterbrechen? Natürlich finden sich diese Kategorien Mensch auf der Seite, sagt Sarah, aber sie repräsentieren nicht das gesamte Spektrum des Publikums. So macht einiges, was sie erzählt, auch nachdenklich. Einmal beauftragte ein Kunde Sarah, über ihre Cam gemeinsam mit ihm auf seinem Computer Pornos zu gucken. „Er hat dafür Geld bezahlt, sich darüber mit mir zu unterhalten, über die Frauen, die wir da sehen. Ich lag entspannt in Jogginghose auf meinem Bett und hatte meinen Laptop aufm Bauch.“ Welche Kategorie ist das? Auf einmal ist das bequem assoziierte Bild des Perversen infrage gestellt. In Realität, hinter der Fassade der Fetische, kommen auch ganz andere, persönlichere Geschichten zum Vorschein. Geschichten, die von Einsamkeit, von dem Bedürfnis Anerkennung zu finden oder einfach von der Suche nach Jemandem zum Reden, erzählen. Auch eine Erfahrung, die Sarah gemacht hat – nicht als Cam-Girl, sondern als Seelsorgerin.

Und so bedient Sarah nicht nur stumpf jegliche Fetische, sondern lernt auch die Menschen dahinter kennen. Es ist offensichtlich, dass sie diesen Job mit einer Kombination aus Spaß, Pragmatismus und Neugierde macht. Natürlich ist das Geld Sarahs Hauptbeweggrund für den Job. Aber es wird klar, dass außerdem noch etwas anderes eine wichtige Rolle spielt: „Manchmal hab ich das Gefühl, es ist eine Bestätigung. Die finden mich toll und man kriegt auch ständig Komplimente.“ Ein Geben und Nehmen also, eine Symbiose, in der Menschen zusammenkommen, die mithilfe sexueller Gewohnheiten persönliche Erfahrungen und Vorlieben verarbeiten. Natürlich spielt Scham und Ekel eine große Rolle, wenn wir darüber nachdenken wollen, ob es moralisch ist oder nicht. Aber vielleicht sollte es nicht das einzige sein, was unser Bild von den Menschen, die ihre Dienste in diesen Foren anbieten, und jenen, die sie in Anspruch nehmen, prägt.

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mm
Autor

liebt den Geruch von Büchern, träumt vom Aussteigerleben im eigenen Baumhaus und nennt Hashtags konsequent Raute.

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