Brüste frei!

Seit einem Jahr trage ich keinen BH mehr – und liebe es. Dieses neues Lebensgefühl habe ich der Schlepperei von Zelt, Pavillon, Verpflegung und Gepäck beim Deichbrand-Festival zu verdanken: Mit der ersten Fuhre beladen, vollkommen erschöpft und verschwitzt an unserem Platz angekommen, beschloss ich den BH auszuziehen. Viel besser! So verzichtete ich vier Tage lang auf einen BH, nahm mir aber vor, Zuhause wieder einen zu tragen.

Weil ich aber noch Urlaub hatte, es war halbwegs warm und war irgendwie war es ziemlich angenehm ohne, beschloss ich, den BH wegzulassen, wenn ich weite Kleider trug. Schließlich hat die neue Freiheit angeblich entscheidende Vorteile: Das Bindegewebe der Brüste wird gestärkt, weil es die Brust nun „selbst“ halten muss, außerdem würden die Brüste fester und auch Rückenproblemen könne man damit den Kampf ansagen, behauptet ein französischer Sportmediziner.

Mit diesen Informationen bewaffnet und mit dem Gefühl, meinen Brüsten etwas Gutes zu tun, blieb der BH nun fast immer im Schrank. Oft genug hatte ich mir vorgenommen, das Bindegewebe meiner Brüste mit ein paar einfachen Übungen zu stärken. Wirklich umgesetzt habe ich das dann allerdings nie. Und jetzt soll es möglich sein, dass meine Brüste sich von selbst stärken? Großartig! Die Hoffnung, dass meine Brüste mit vielleicht 40 oder zumindest bis zur Geburt meines ersten Kindes noch ganz ansehnlich wären, gefiel mir.

Fühlst du dich nicht beobachtet?

Vielen, denen ich von meinem neuen Freiheitsgefühl erzählte, waren überrascht, guckten auf meine Brüste („Fällt ja kaum auf!“) und konnten nicht fassen, dass ich mich das traue. „Fühlst du dich nicht beobachtet?“ – doch und zwar ziemlich. Als ich das erste Mal ohne BH durch die Stadt ging, beobachtete ich alle Leute, die mir entgegen kamen. Mittlerweile bin ich da viel entspannter und war sogar ohne BH zum Vorstellungsgespräch. Allerdings muss ich zugeben, dass das nicht geplant war. Zur Arbeit würde ich nie ohne BH gehen, außer vielleicht im Winter im dicken Pulli.

Aber warum eigentlich nicht? Ich stelle mir vor, dass die Anderen sich über mich lustig machen. Dass ich die wäre, die nie einen BH trägt und deren Brüste so ungleichmäßig hängen würden. Dass ich nicht so seriös wirke ohne meinen BH.
Warum erwartet die Gesellschaft von Frauen perfekt geformte, straffe und stehende Brüste, bei denen man niemals die Brustwarzen sehen darf?

In meiner Freizeit verbleibe ich bei einem engen Top unter meinem Pulli, einem weiten Kleid oder einfach dem Tragen eines Yoga-BHs. Letztens schrieb mir eine Freundin: „Ich bin gerade in der Stadt – ohne BH.“ Ich lächelte und freute mich, etwas für die Brüste dieser Welt getan zu haben.

Video: Victoria Lippmann, shz.de

Von Lea

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