In Sheffield wurden 1857 die ersten Fußballregeln aufgestellt. Ob da noch alles beim alten ist? Zum Tee bei Sheffield Wednesday.

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Über Silvester war ich mit Freunden in Manchester. Um uns die verkürzte Winterpause 2018 noch kürzer zu machen und uns in Sachen Fußballhistorie weiterzubilden, sind wir am Neujahrstag ins altehrwürdige Hillsborough-Stadium gegangen. Wir wollten herausfinden, wie Fußballkultur im Zentrum des Fußballmutterlandes gelebt wird und wie ein Stadionbesuch in Englands Norddwesten aussieht. Am Ort der größten Katastrophe des britischen Fußballs haben wir den zweitältesten Club der Welt spielen sehen. Sheffield Wednesday F.C., Spitzname: „The Owls“.  Obwohl seit Jahren in den Niederungen der zweiten englischen Liga verschwunden, schien uns mehr Fußballhistorie unmöglich zu sein.

Hillsborough – ein Ort für Romantiker

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Das Hillsborough-Stadium immerhin lädt den geneigten Fußballromantiker zum Schwärmen ein. Weithin sichtbar lässt das blau gebeizte Wellblech bereits bei Annäherung erahnen, welche kindlichen Stadionträume bald zum Leben erweckt werden sollen. Das Stadion besteht nahezu völlig aus Backstein, Holz und Wellblech. Von Stahlbeton keine Spur. Auch hat die Digitalisierung noch nicht Einzug gehalten. Der Herr im Kassenhäuschen begrüßt den Stadionbesucher mit einem freundlichen „Cheers!“ und beiläufigem Druck auf den Summer zur Entsperrung der Einlasschranke. Mehr Atmosphäre kann ein ehernes Drehkreuz vermutlich nicht versprühen. Hiermit waren übrigens auch die einzigen Sicherheitskontrollen des Tages überstanden. Von tastenden Ordnern war nichts zu sehen.

Der Tabellenplatz des Gegners aus Burton verleitete uns zu einer ebenso spontanen, wie ambitionierten Wettplatzierung unmittelbar vor Spielbeginn. Direkt im Stadion, versteht sich. Von Meatpie gestärkt und, ob der Temperaturen und des geltenden Alkoholverbotes, mit Tee gerüstet ging es fünf Minuten vor Anpfiff zu den Plätzen auf der ehrwürdigen Tribüne „The Kop“. In Reihe fünf, direkt hinter dem Tor, befanden wir uns in ungewohnter Nähe zum Spielgeschehen. Das Fehlen von Hintertornetzen ließ uns auf die Treffsicherheit der Stürmer hoffen. Die Atmosphäre war nett und gemütlich. Pünktlich zum Kick-off hat es dann angefangen zu regnen. Stilecht.

He’s one of our own!

Obwohl den Kickenden auf dem Rasen noch etwas die Silvesterfeier in den Knochen zu stecken schien, erlebten wir auf dem Platz englische Fußballkultur at it’s best. Es wurde mit rauer Leidenschaft um jeden Ball gekämpft und der Referee machte nur zögerlich von seiner Pfeife Gebrauch. Dramatische Höhepunkte der Partie: Ein in der dritten Minute von Wednesday-Keeper Joe Wildsmith gehaltener Elfmeter und ein circa zehnminütiger Sturmlauf der Hausherren ab Minute 55. Beides beständig kommentiert von den Sitzenden. Ein koordiniertes Anfeuern fand jedoch nicht statt. Der einzige, konsequent durchgezogene Gesang galt genanntem Eigengewächs zwischen den Pfosten.

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Bloody, bloody, bloody!

Der Rest war ein Potpourri aus landesüblichen Kraftausdrücken. Die sonst gekannte und geliebte britische Höflichkeit fand an diesem Nachmittag keinen Platz. Die Zuschauer zeigten ihre Leidenschaft durch ihre, mit Flüchen gespickten Kommentare des Spielgeschehens.

Mit einiger Berechtigung lässt sich behaupten, wir hätten unsere Englischkenntnisse vortrefflich erweitert. Ansonsten waren wir etwas enttäuscht ob der mangelnden Sangesfreude der Anwesenden. Das Endergebnis von 0:3 war für uns nicht vorhersehbar und lieferte schließlich den Grund zur Freistellung von Trainer Carlos Carvalhal. Seinem Nachfolger Jos Luhukay wünschen wir viel Erfolg. Ach, geregnet hat es übrigens auch.

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mm
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Mag Fahrradfahren nur, wenn er nirgendwo ankommen muss. Wäre der inkonsequenteste Vegetarier der Welt und wollte als Kind Maurer werden.

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