Im Frühjahr beginnt die Hochsaison für alle Fundraiser – und für den Rest das Slalomlaufen durch die Innenstadt: Sich zum Spenden überreden lassen, wollen wenige. Ganz von alleine spenden leider auch.

Wenn die Infostände in den Fußgängerzonen wieder ausgepackt werden, kann man fast den Eindruck bekommen, unsere Generation sei endlich wieder poltisch und umweltaktiv. Bloß selbstzentrierte Lebenslücken-Vermeider? Von wegen: Fast jeden Tag stehen hinter den Ständen von Greenpeace und Co engagierte Zwanzigjährige und reden sich den Mund fusselig für eine bessere Welt.

Tatort Fußgängerzone: Das Fundraising der NGOs

Tatsächlich handelt es sich bei den jungen Leuten an den Ständen aber oft nur um vermeintlich Ehrenamtliche. Auch wenn das jeweilige Outfit stimmen mag, bezahlen die meisten Non-Profit-Organisationen Agenturen, die sogenannte Fundraiser im Schnellverfahren ausbilden: Wesser, talk2move oder DialogDirect schulen Abiturienten oder Studenten in Sachen Gesprächsführung, bringen ihnen bei, Reizwörter wie „Geld“ oder „bezahlen“ zu vermeiden, und pfiffig auf typische Ausflüchte zu reagieren. Auf Mitgliederjagd für verschiedene NGOs werden sie dann in die Fußgängerzonen Deutschlands geschickt. Und dafür bezahlt: Meist ein Festgehalt pro Woche und für jede Unterschrift gibt es Provision. Wie viel hängt von der Dauer und Höhe der abgeschlossenen Mitgliedsschaft ab.

Bleib kurz stehen!

„Hast du zwei Minuten für mich?“ fragen Lena, Isabell oder Frederick von den Maltesern, attac oder den Johannitern. Aber tatsächlich sind wir in Eile und falls nicht, studieren wir gerade bemüht gedankenversunken das neue Brillenangebot des Optikers. Aber Lena ist das egal: „Soll ich dir kurz erzählen, warum ich hier bin?“, und ohne auf eine Antwort zu warten, erfahren wir, woher sie kommt, wie alt sie ist und warum sie sich ausgerechnet für die Malteser einsetzt. Und während an diesem Tag viele Passanten mit einem Halbwissen über Lena herumlaufen, der 21-jährigen Studentin aus Bern, vermischen sich für sie die Passantengesichter längst zu einer unüberschaubaren Masse. Auf dem Heimweg acht Stunden später bittet sie also wieder um zwei Minuten und legt von vorne los: „Soll ich dir kurz erzählen, warum ich hier bin?“

Lena macht sich wie viele ihrer Kollegen zu einem Werbemedium, das die Hand entgegenstrecken und ganz von Angesicht zu Angesicht sein will, aber leider dabei oft über die eigenen Plattitüden stolpert. Denn das sogenannte Face-to-Face-Marketing oder Street Fundraising kann nur schwer den schnöden Werbe-Nachgeschmack loswerden, den es hinterlässt. Denn nachdem man an einem Tag von mehreren wildfremden Menschen in unifarbenen Shirts aufgehalten, bemüht locker angesprochen und unaufgefordert geduzt wurde, ist klar, dass hier doch irgendwo der Hund begraben liegen muss. Beziehungsweise das Geld.

Sprich mich bloß nicht an!

Dabei generieren die Fußgängerzonen-Fundraiser nicht nur Spenden, sondern schaffen ein gefährliches Nebenprodukt: Den Überdruss. Nicht ohne Grund nennen die Engländer diese Art des Fundraisings „Chugging“, ein Kofferwort aus „charity“ und „mugging“ (zu Deutsch: Überfall). Spendensammeln auf Provisionsbasis schafft Nährboden für Penetranz und Dreistigkeit. Wer mehr Geld verdienen möchte, muss mehr Mitglieder werben – ob die nun wollen oder nicht. Durchschnittlich nur etwa drei bis sechs von 100 angesprochenen Passanten unterschreiben tatsächlich. Die restlichen 90 aber, so die naheliegende Vermutung, haben die Schnauze voll von dieser Art des Spendeneintreibens. Und das bleibt die Krux an der Sache. Indem diese Methode Spenden schafft, verhindert sie andere.

Aktivismus light

Dabei darf man nicht vergessen, dass die Organisationen angewiesen sind auf das Geld von der Straße. Spendenbriefe landen nämlich schnell und gedankenlos im Altpapier. Aber wer in einem persönlichen Gespräch informiert und zur Mitgliedschaft bewegt werden kann, bleibt länger dabei und spendet im Durchschnitt auch mehr Geld. Davon werden dann Regenwälder geschützt, Menschenrechte verteidigt, die Chancen von Frauen und Mädchen auf der ganzen Welt verbessert. Dazu kann man den fleißigen Fundraisern dann schon wieder gratulieren. Denn vergessen wir mal die Sache mit der fehlenden intrinsischen Motivation – und wer hat die schon heutzutage noch für irgendwas? – helfen sie, Gutes auf den Weg zu bringen.

Ein paar Non-Profit-Organisationen haben sich trotzdem des Problems angenommen und satteln auf teaminterne Spendensammler um. Authentische Information und ehrliche Gespräche statt Plattitüden und Verkaufsstrategien sollen helfen, den Ruf der Fußgängerzonen-Stände zu verbessern. Wer sich im Gespräch unsicher ist, wen er da genau vor sich hat und nicht unbedingt ungefragt Lena & Cos BWL-Studium mitfinanzieren möchte, kann nachhaken. Und einfach mal Penetranz mit Penetranz beantworten.

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mm
Autor

würde auch während der Apokalypse keine Brille tragen und hält sich in den meisten Lebensfragen an die Lehren von Captain Jean-Luc Picard vom Raumschiff Enterprise.

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