Wer im Supermarktregal nach der neuen Schokoladensorte des Jahres greift, denkt nicht an Kinderarbeit auf Kakaoplantagen oder an den Transportweg der Kakaobohnen auf Containerschiffen, von denen einige wenige so viele Schadstoffe in die Luft blasen wie alle Autos zusammengenommen. Dass argloser Konsum für viele selbstverständlich ist, dachte sich auch Timo und ist mit seinem Fahrrad 500 km weit gefahren, um faire, emissionsfrei transportierte Schokolade nach Flensburg zu bringen.

Auf Schokofahrt 

Gemeinsam mit anderen Radfahrern und Radfahrerinnen fuhr Timo von Münster aus auf Schokofahrt nach Amsterdam, um für CO2-neutralen Transport, nachhaltige Mobilität und bewussten Genuss zu werben. Nach knapp drei Tagen erreichten sie die „Chocolatemakers“, eine kleine Manufaktur im Amsterdamer Hafengebiet, die ihre Schokolade selbst herstellt und dabei Wert auf Nachhaltigkeit und Qualität legt.

Timo lebt in Flensburg, engagiert sich dort für eine fahrradfreundliche Stadt und ist Mitglied im ADFC, dem Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club. Mehr als 10.000 Tafeln Schokolade luden er und die anderen Teilnehmer und Teilnehmerinnen auf ihre Lastenräder und Anhänger, um sie mit nach Deutschland und Österreich zu nehmen. Von insgesamt einer Tonne Schokolade brachte Timo 16,5 kg nach Flensburg, wo sie jetzt im Café „Muse Maritim“ im Schifffahrtsmuseum verkauft wird. „Wir wollen mit der Schokofahrt auf den bewussten Umgang mit Lebensmitteln hinweisen und zeigen, dass es keine Selbstverständlichkeit ist, im Supermarkt für 88 ct eine quadratische Schokolade kaufen zu können.“

Über eine Tonne Schokolade wurden auf der Schokofahrt emissionsfrei nach Deutschland transportiert. Foto: Timo Schmidt

Schokolade mit bitterem Beigeschmack

Dass Schokolade bei uns so günstig ist, hängt auch damit zusammen, dass Kakaobauern ausgebeutet werden und Kinder auf Plantagen arbeiten müssen. In vielen Teilen Westafrikas gehen gerade mal 6% des Verkaufspreises der Bohnen an die Bauern und allein an der Elfenbeinküste arbeiten über eine Million Kinder als Erntehelfer. Bei ihrer Arbeit kommen sie auch mit Pestiziden in Kontakt.

In Jutesäcken verpackt werden die Kakaobohnen dann auf Frachtern nach Europa verschifft. Nahezu der gesamte Welthandel läuft heute über Frachtschiffe, die mit Schweröl betrieben werden, einem dreckigen Abfallprodukt aus der Ölindustrie, bei dessen Verbrennung neben CO2, auch Ruß, Feinstaub, Schwefel- und Stickoxide ausgestoßen werden. Das ist zwar besonders dreckig, dafür aber günstig. Containerschiffe tragen damit erheblich zur Klimaerwärmung bei und sind zudem extrem gesundheitsschädlich, weil die Schadstoffe auch noch ungefiltert an die Luft gehen.

Foto: Pixabay

Segelfrachter auf einsamer Fahrt

Die „Chocolatemakers“ beziehen die Kakaobohnen zu fairen Preisen von Biobauern aus der Dominikanischen Republik, Peru und dem Kongo, mit denen sie eng zusammenarbeiten. Nach Amsterdam kommen die Bohnen von dort aus mit der „Tres Hombres“. Der Frachtsegler fährt seit 2010 jährlich von Europa aus über den Atlantik in die Karibik und transportiert ausschließlich fair gehandelte Produkte, u.a. Wein, Olivenöl, Kaffee, Rum und eben Kakao.

Die „Tres Hombres“ fährt mit Windkraft und somit vollkommen emissionsfrei. Wind ist sauber und kostenlos, seine Nutzung als Energieträger ist so schlüssig wie naheliegend und Modelle für Segelsysteme bei Frachtern gibt es bereits seit einigen Jahren. Allerdings ist der Transport auf Segelschiffen langsamer, drei bis vier Mal teurer und die Schiffslobby zu stark als dass es in naher Zukunft zum Einsatz von Segeln kommen wird. Die „Tres Hombres“ wird wohl deshalb weiterhin eine Ausnahme auf den Meeren bleiben.

Radieschen statt Avocado

Wer sich für fairen Handel und klimaneutralen Transport engagieren möchte, muss nicht gleich mit dem Rad nach Amsterdam fahren. Ein guter Schritt ist oft schon der aus der eigenen Komfortzone heraus. Zum Beispiel, indem man bewusster und nicht immer nur günstig einkauft und sich fragt, woher die Produkte im eigenen Korb eigentlich kommen. Ein Fair Trade-Siegel bei Kaffee, Schokolade und Bananen etwa sichert den Bauern und Bäuerinnen zumindest einen Mindestlohn, faire Arbeits- und Lebensbedingungen und in manchen Fällen sogar politische Teilhabe.

Es hilft, eigene Gewohnheiten zu überdenken. Muss es immer das Gemüse aus Übersee sein oder tun es auch die heimischen Radieschen in der Salad-Bowl? Der Kauf von Bio-Produkten gehört für viele mittlerweile dazu, aber auch eine Bio-Avocado kommt mit dem Containerschiff nach Deutschland.

Mit „Käthe Lasten“ emissionsfrei durch Flensburg

In Flensburg gibt es ab diesem Sommer Lastenräder, die jeder kostenlos über eine Onlineplattform leihen kann. „Fiete Flitz“, „Käthe Lasten“ und weitere Räder werden am Schifffahrtsmuseum, dem Hafermarkt, am Südermarkt und an der Rude stehen. Die Initiative wurde ermöglicht aus der Zusammenarbeit des Klimapakts, der Stadt, dem ADFC und den beteiligten Stadtteilforen. Timo verspricht sich viel von den Lastenrädern: Ich hoffe, dass die Räder, die jetzt kommen, erstmal nur der Anfang sind und ich wünsche mir, dass viele Flensburger das annehmen und über ihren Lasten- und Kindertransport auf der letzten Meile nachdenken und den Wochenendeinkauf mit dem Rad machen statt mit dem Auto.“

Dass die emissionsfrei transportierte Schokolade der „Chocolatemakers“ nicht den gesamten Welthandel revolutioniert, weiß auch Timo. Trotzdem will er bei der nächsten Schokofahrt im Oktober wieder mitfahren, um auf saubere und faire Alternativen aufmerksam zu machen. Wer sich ihm anschließen mag, kann das gerne tun. Auf der Schokofahrt sind alle willkommen und Timo freut sich, wenn er beim nächsten Mal nicht der einzige Flensburger ist.

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mm
Autor

gießt beim Telefonieren ihre Pflanzen, kann nur mit Nasezuhalten tauchen und kniffelt leidenschaftlich gern.

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