Schnipp, schnapp, Haare ab – schnell und leichtgemacht, wenn du mal wieder einen Tapetenwechsel benötigst. Hast du allerdings gleiche Bedürfnisse bei Dreadlocks, wird es zu einer heiklen Geschichte. Sicher kannst du sie kürzen, verlängern, färben, mit Schmuck verzieren oder einfach radikal abrasieren. Sollen aber die verfilzten Strähnchen wieder glatt und geschmeidig werden, hilft dir kein Glätteisen bei deinem Vorhaben, sondern viel Geduld, mehrere Hände, etwas Sekt und eine Gabel.

Haare machen Leute

Ich habe vor etwa fünf Jahren meine Haare zu Dreadlocks verfilzt. Mal ganz lachshaft gegen den Strom schwimmen, nicht wie andere fein herausgeputzt aus der Tür fallen, lieber wild und anders aussehen. Kurzum: Ich habe wahnsinnig viele Erfahrungen gemacht! Das Leben zeigte sich zunächst von einer ganz anderen Seite. Denn scheinbar machen nicht nur Kleider, sondern auch Haare Leute. Ich tauchte plötzlich in vielen Klischee-Schubladen auf. So hieß es: Ich sei vegan, ein Hippie, ein Öko, eine Raucherin oder Kifferin, eine Elfe, ein Freigeist, eine Arbeitslose… die Liste ist lang. Spannend war es, da sich einhergehend Freundschaften gefestigt, sowie ­einige Bekanntschaften distanziert haben. Diese neue Frisur bereitete mir nicht mal Schwierigkeiten einen Job zu bekommen, im Gegenteil: Die Menschen waren neugierig und wollten meine Geschichte hören. 

Das Thema Drogen war natürlich häufiger präsent und insbesondere die ältere, meist konservative Generation verblieb skeptisch. Dreads sind schließlich ein Zeichen der Ungepflegtheit. Zugegeben: Ich hatte einmal sogar Läuse! Viele stempeln ganz gerne einfach ab, aber in jedem Wald oder ­verschiedensten Polstern lungern die kleinen Tierchen und sehnen sich nach einem köstlichen Gaumenschmaus aus Blut und Hautschuppen. Es kann im Endeffekt jeden treffen, dafür musst du nicht erst stinken und komisch aussehen. Ich habe die Läuse auf einer Reise in Indien womöglich in einem Hotel aufgenommen. Das Entfernen dauerte zwei Wasch-Sessions länger als bei herkömmlichen Haaren.

Foto: privat

Warum ich meine Dreads aufgab

Doch nun sollten die Filzlocken wieder aus meinem Leben verschwinden. War die Welt voller Vorurteilen und falschen Schubladen also doch zu schwer? Jein! Wäre es nur der Spott gewesen, hätte ich locker noch Ewigkeiten damit herumlaufen können. Dreadlocks bringen aber nicht nur eine neue Frisur mit sich, sondern auch eine sehr zeitintensive Pflege, was das Waschen, stundenlanges Föhnen und das ­monatliche Nachziehen und Reparieren mit einer Häkel­nadel beinhaltet. Das langandauernde Pflegeprogramm sprach mehr und mehr gegen meine Art zu leben. Wenn es nämlich nach meinen Dreadlocks ging, hätte ich ihnen, pauschal gesehen, täglich mindestens zwei Stunden Aufmerksamkeit schenken müssen. Als Studentin, als Sportlerin, als Reisende!!! Keine Chance! Ich musste abspecken – eine Last loswerden. 

Kampf durch den Dschungel 

Anstelle von einer Rasur des gesamten Kopfes entschied ich mich für den wesentlich anstrengenderen Weg: das Entfernen durch Herauskämmen. Es hat viel Zeit und Nerven gekostet, mich von meinen 30 stylischen Freunden zu trennen. Insgesamt ein Jahr hat die Prozedur gedauert. Warum so lange? Weil es zum einen harte Handarbeit ist, die viel Kraft benötigt. Zum anderen gefiel mir die Frisur einfach unheimlich gut. Ich fing somit am unteren und hinteren Kopf­bereich an, um mein Vorhaben weniger offensichtlich zu machen. 

Das Herauskämmen war ein reines Abenteuer. Ich wühlte mich von der Spitze der Dreadlocks durch einen haarigen Dschungel. Verklebt verfilzte ­Strähnen erschwerten mir den Weg und ich kämpfte mit vielen Fusseln und fremdartigen Gerüchen und fand sogar noch etwas Glitzer aus einer zwei Jahre zurück­liegenden Partynacht. Meine erste Waffe – der Kamm – machte schnell schlapp, da die Borsten nicht stabil genug waren, der harten Filzlocke standzuhalten. 

Ich brauchte schließlich ein ­widerstandsfähigeres Mittel um mein Ziel – den Haaransatz – wie geplant zu erreichen. Eine Gabel erfüllte alle Heraus­forderungen. Also steuerte ich mit neuer Ausrüstung den Urwald an und schüchterte die Dreadlocks ein. Ein weiteres Hilfsmittel – Haarspülung – machte den Vorgang geschmeidiger. Ich verbrachte teilweise mehrere Stunden damit, einzig und alleine eine verfilzte Haarsträhne wieder glatt zu striegeln und verlor währenddessen mindestens die Hälfte meiner Haarfülle. Daher fiel es mir zwischenzeitlich schwer mit dem Gedanken konform zu gehen, die kommenden Jahre kaum Haare auf dem Kopf zu haben und eine eventuelle Kurzhaarfrisur in Betracht zu ziehen. Durch hilfreiche und motivierende Hände blieb ich meiner Intention treu und beschleunigte sogar den Prozess. 

Tacheles

Um ehrlich zu sein: Ich vermisse sie und bin froh all die Erfahrungen gemacht zu haben. Es geht mir hierbei weniger darum, wo ich mit ihnen in der Gesellschaft stand, vielmehr ist es die Beziehung, die ich zu ihnen aufbaute. Die Dreadlocks haben mir ein abwechslungsreiches und ehrliches Leben beschert, wenn auch manchmal in Verbindung mit ­kleinen Schwierigkeiten. Genauso führte ich spannende Unterhaltungen und lernte die Welt aus einer anderen Perspektive kennen. Nun tauche ich erstmal unter und trage wieder offene, lange Haare. Es steht noch in den Sternen, wann ich die erste Strähne erneut toupiere, verfilze und häkele.

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