Wie abhängig bin ich eigentlich von meinem Smartphone? Diese Frage stelle ich mir oft. Abends ist es das letzte, worauf ich gucke, morgens das erste, wonach ich greife. Ein Leben ohne Smartphone − ist das heute im digitalen Zeitalter überhaupt noch möglich? Als ich meinen Freund Jens frage, ob er sich seinen Alltag ohne Handy vorstellen kann, sagt er sofort ja. Ich kann es nicht recht glauben und so entsteht die Idee für eine Woche die Handys abzuschalten.

Am Sonntagabend stellen wir um 21 Uhr die Handys aus und legen sie in eine Schublade. Zu diesem Zeitpunkt ist uns nicht bewusst, wie selbstverständlich wir mit ihrer Hilfe Dinge tun, die uns in der kommenden Woche einige Probleme bereiten werden. Bevor wir schlafen gehen, stellen wir uns unseren alten Radiowecker. Die erste Hürde, für die wir sonst unsere Handys benutzen, ist geschafft. Am nächsten Morgen stehe ich vor Jens auf, weil ich früh zur Arbeit muss. Vor dem Kleiderschrank stehend, weiß ich nicht, was ich anziehen soll. Mein Handy kann mir heute nicht verraten, wie warm es werden sollen.

7747 – die Nummer meines Sandkastenfreundes

Beim Frühstück fehlt mir das Scrollen durch die sozialen Medien und diverse Nachrichtenapps. Ich könnte in der Nacht ja etwas Wichtiges verpasst haben – ein Hundevideo auf Facebook zum Beispiel, einen „Schnappschuss“ auf Instagram oder Prominews auf YouTube. Ich bin zwanzig Minuten früher als sonst mit allem fertig. Die gewonnene Zeit nutze ich, um Hausaufgaben für meinen Dänischkurs zu erledigen. Als ich das Haus verlasse, geht mein Griff automatisch in meine Jackentasche. Schlüssel, habe ich. Handy? Ach nee. Da war ja was. Mit einem mulmigen Gefühl gehe ich zur Bushaltestelle. Was ist, wenn der Bus Verspätung hat und ich bei der Arbeit nicht Bescheid sagen kann? Was ist, wenn der Bus einen Unfall hat und ich jemanden anrufen muss? Siedend heiß überlege ich, welche Telefonnummern ich auswendig kann. Mir fällt lediglich die Nummer meiner Eltern in Nordfriesland ein und die von meinem Sandkastenfreund Jacob – 7747. Ich bezweifle, dass mir das in einer Notsituation weiterhilft.

An der Bushaltestelle angekommen, weiß ich nicht, was ich tun soll. Denn normalerweise würde ich jetzt Quizduell mit meiner Mama spielen. Ich bin die einzige an diesem Montagmorgen, die an der Bushaltestelle oder im Bus nicht auf ihr Handy starrt. Auf der Fahrt hänge ich meinen Gedanken hinterher. Ich gehe den Tag durch und überlege, was mich erwartet. Meine Großeltern würden sagen, ich „besinne“ mich. Komisch, normalerweise werden die zehn Minuten bis zur Arbeit durch das Scrollen meiner Facebook-Timeline gefüllt. Bei der Arbeit angekommen, verläuft der Tag wie jeder andere. Allerdings ertappe ich mich mehrmals dabei, wie ich panisch auf dem Schreibtisch nach meinem Handy suche.

Einsame Mittagspause

Am schlimmsten ist es in der Mittagspause. Ich sitze allein in der Gemeinschaftsküche und esse mein Brot. Nach zehn Minuten ist es aufgegessen und ich weiß nicht, was ich tun soll. Eine Minute schaue ich aus dem Fenster, dann wird es mir zu langweilig. Die Tür geht auf und jemand kommt rein, um sich Kaffee zu holen. Die Frau schaut mich an und fragt: „Was ist denn da los, gar kein Handy dabei?“ Ich erzähle ihr von meinem Experiment. Als sie die Küche wieder verlässt, wünscht sie mir viel Glück. Brauche ich wirklich Glück, um das Durchzuhalten? Früher ging es doch auch ohne Smartphone. Ich schaue auf die Uhr. Eigentlich habe ich noch zehn Minuten Pause, doch ich habe keine Lust mehr mich mit meinen eigenen Gedanken auseinanderzusetzen und kehre früher als nötig an meinen Arbeitsplatz zurück.

Nach der Arbeit bin ich mit einer Freundin zum Yoga verabredet. Bin ich doch, oder? Warum ist sie dann nicht pünktlich? Ich werde unruhig, zu gerne würde ich ihr bei Whatsapp schreiben, um zu fragen, wo sie bleibt. Oder habe ich mich geirrt und wir haben uns nicht für heute verabredet? Kurze Zeit später kommt Karen durch die Tür. Ihr Bus hatte nur fünf Minuten Verspätung. Grund genug eine kleine Panikattacke auszulösen. Nach dem Yoga gehen wir zu mir nach Hause, weil wir dort eigentlich mit Freunden verabredet sind. Kurz vorher sagen viele der Kommilitonen in unserer Whatsapp-Gruppe ab – erzählt Karen mir.

Offline in den finanziellen Ruin

Zuhause angekommen, erfahre ich, dass unser Konto überzogen wurde. Wir haben ein gemeinsames Konto, auf das ich den einen Teil unserer Miete überweise und Jens Eltern die andere Hälfte. Das Geld von seinen Eltern ist aber nicht angekommen und durch die Abbuchungen zum Monatsanfang ist unser Konto im Minus. Jens versucht den Betrag von seinem Konto auszugleichen. Doch sein Online-Banking funktioniert nur mit SMS-Tans, die an sein Handy geschickt werden. Genauso ist es bei mir. Jens versucht seine Eltern zu erreichen, die im Urlaub sind. Zwar haben wir einen Festnetzanschluss, doch für Anrufe aufs Handy müssen wir extra bezahlen. Deshalb klingelt er seine Eltern nur an, wie früher, als es noch Prepaid Handys mit wenig Guthaben gab. Seine Eltern scheinen die Kunst des Anklingelns verlernt zu haben und gehen davon aus, dass er sich nochmal melden wird. Zum Glück rufen sie irgendwann doch zurück und das Geld ist am nächsten Tag auf unserem Konto.

Als ich am Dienstag zur Arbeit fahre, habe ich mir ein Buch mitgenommen und die Mittagspause verbringe ich mit Kollegen. Der innerliche Drang auf mein Handy zu gucken, bleibt bestehen. Nach der Arbeit will ich einen anderen Bus als sonst nehmen, weil mein Sprachkurs früher anfängt. An der Bushaltestelle muss ich auf die Anzeigetafeln gucken und kann nicht, wie sonst den nächsten Bus auf meiner App suchen. Die Informationen sind letztendlich die gleichen und es geht genauso schnell – vielleicht sollte ich das öfter tun?

Verabredungen einhalten

Nach dem Dänischkurs gibt es ein Treffen unseres Studienganges. Ich bin müde, draußen ist es kalt und es regnet in Strömen. Ich bin mir sicher, dass wenn ich die Möglichkeit hätte, ich würde in der Whatsapp-Gruppe absagen. Geht aber nicht, also mache ich mich nach dem Unterricht wie verabredet auf den Weg zum Tableau. Dort angekommen, verrät mir eine Freundin: „Wenn du online gewesen wärst, hätte ich dir abgesagt.“ Ich halte fest: Durch den Verzicht von Smartphones muss man sich an Verabredungen halten und das ist auch gut so. Es ist ein schöner Abend und ich bin froh, dass ich hingegangen bin.

Mittwoch habe ich frei und beschäftige mich mit Texten für die Uni, während mein Freund seine Masterarbeit schreibt. Ihm tut es gut, nicht von seinem Handy abgelenkt zu werden. Mir fällt es immer noch schwer mich auf eine Sache zu konzentrieren. Viermal klingelt an diesem Tag das Festnetztelefon. So oft wie sonst in einem ganzen Monat. Meine Mutter und meine Schwester erkundigen sich, wie es uns geht. Eine Freundin fragt nach einem Termin für ein Referatstreffen und mit einer anderen verabrede ich mich zum Kaffee trinken.

Einmal kurz einloggen

Donnerstag in der Uni halte ich es nicht mehr aus und benutze den Laptop meiner Sitznachbarin. Ich logge mich bei Facebook ein, checke meine Emails und gucke im Studiport nach, ob meine Noten eingetragen wurden. Ich hätte zwar auch zuhause meinen Laptop benutzen können, aber da ist die Hemmschwelle zu hoch. Ich bin schlichtweg zu faul, meinen Laptop anzumachen. Der Griff zum Handy geht einfach schneller und passiert automatisch. Die ernüchternde Zwischenbilanz nach drei Tagen offline: Eine Benachrichtigung bei Facebook, zwei Spam-Emails und keine Noten. Ich bin enttäuscht − ich hätte gedacht, in den drei Tagen meiner Abstinenz wäre mehr passiert.

Abends gehen Jens und ich zum Poetry Slam. In der Pause gucken alle Zuschauer auf ihr Handy. Wir fühlen uns wie zwei ehemalige Raucher, die umgeben sind von rauchenden Menschen. Ich bin froh, dass mein Handy zuhause ist, sonst hätte ich der Versuchung, einmal kurz draufzugucken, nicht widerstehen können. Doch so müssen wir uns in der Pause – miteinander unterhalten!

Google doch mal schnell

Am Freitag, dem fünften Tag meines Selbstversuches, bin ich zum Frühstück verabredet. Zu Fuß mache ich mich auf den Weg. Natürlich könnte ich auch auf dem Laptop nachschauen, wann der Bus fährt, aber das ist mir zu umständlich. Mir fällt auf, dass ich viel zu warm angezogen bin und fange in meinem Wollpullover an zu schwitzen. Als meine Freundin mich sieht, blickt sie von ihrem Handy auf und sagt: „Wusstest du nicht, dass es heute 18 Grad werden sollen?“ – Nein, wusste ich nicht. Nach dem Frühstück schlendern wir durch die Stadt. In einem Geschäft sehen wir einen blauen Rock, in der Farbe von Grobi aus der Sesamstraße. Mareike ist der Meinung, Grobi wäre grün und nicht blau. „Google doch mal schnell“, schlägt sie vor. Normalerweise ist die Möglichkeit, Wissen aus dem Internet abzurufen, allgegenwärtig. Ich frage mich, ob das ein Segen oder ein Fluch ist. Komme aber zu keinem Ergebnis – müsste ich googlen.

Abends sitze ich alleine vor dem Fernseher. Jens ist übers Wochenende zu seinem Bruder gefahren. Ich habe mich immer noch nicht daran gewöhnt, einfach nur fernzusehen und dabei nicht auf das Handy zu gucken.

Am Wochenende habe ich mich mit Freunden verabredet: Kaffee trinken, Referatstreffen, spazieren, abends gemeinsam kochen. Ich habe sogar zwei Nachrichten auf meinem Anrufbeantworter. Es beschleicht mich ein seltsamer Gedanke: Bin ich ohne soziale Medien ein sozialerer Mensch?

Mehr Zeit für mich

In der Woche ohne Handy ist mir aufgefallen, dass ich mich normalerweise viel zu schnell von Facebook, YouTube, Instagram und Co. ablenken lasse. Zwei Klicks und schwups schon sind 30 Minuten rum. Ohne Smartphone habe ich viel mehr Zeit, mich mit mir selbst auseinander zu setzen, mir selbst eine Meinung zu bilden.

Als ich am Sonntagabend um 21 Uhr das Handy wieder anstelle, habe ich 111 ungelesene Nachrichten. Am liebsten würde ich es sofort wieder ausschalten. Nach sieben Tagen Digital Detox nehme ich mir vor, bewusster auf meine Smartphone-Nutzung zu achten, auch mal ohne Handy aus dem Haus zu gehen, nicht jede Nachricht sofort zu beantworten, mich in der Mittagspause zu unterhalten, Verabredungen einzuhalten und abends ein Buch zu lesen.

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mm
Autor

hört zum Einschlafen Bibi Blocksberg, hat eine Rechts-Links-Schwäche und ist der Meinung, dass Lebkuchen im September am besten schmecken.

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