Mein Problem war, dass ich nicht Nein“ sagen konnte und zusätzlich zu Pflichtterminen vielen anderen Dingen, wie zum Beispiel den Bitten um einen Gefallen oder Treffen mit Freunden zugestimmt habe. An sich tolle Sachen, aber in der Summe wurde mir das irgendwann zu viel. Die Lösung für das Problem kam in Form eines Wortes, eines kleinen Wortes mit einer großen Bedeutung. 4 Buchstaben: Nein. Ich musste nur noch lernen, es zu sagen.

Auf dem Boden der Tatsachen

Ich saß eines Abends auf dem Boden meines Zimmers und hatte auf einmal weder Energie noch Zeit. Das war das Resultat einer Phase, in der ich alle Fragen entweder mit einem „Ja“ oder zumindest mit einem „Vielleicht“ beantwortet habe, immer in dem Versuch alles unterzubekommen, allen Bitten nachzukommen und die eine oder andere Tür offenzuhalten. An besagtem Abend wurde mir aber klar, dass ich etwas verändern musste, weil ich das Pensum, das ich mir selbst auferlegt hatte, auf Dauer nicht mehr durchhalten konnte und mich einfach mal wieder an einem Ort aufhalten wollte, ohne gleich loszumüssen.

Zwischendrin ist kein Ort

Ich konnte nicht „Nein“ sagen und verstrickte mich immer weiter in Dingen, die zusätzlich zum Studium und meiner Arbeit Zeit erforderten. Es waren Fragen, ob ich noch eine Besorgung erledigen, Plakate austragen, beim Umzug helfen konnte oder ob ich zu einem Treffen oder einer Veranstaltung mitkommen wollte. Letztendlich hetzte ich von Termin zu Termin, hakte alles irgendwie ab, war mental immer auf Zwischenstation und nur noch halb vor Ort. Wenn ich dann noch überlegte, dass ich putzen, Wäsche waschen, etwas für eine Hausarbeit recherchieren, das Sporttraining unterbringen und irgendwie genug Schlaf bekommen sollte, hatte ich mehr als einmal das Gefühl, nicht mehr hinterherzukommen.

„Weißt du, was passiert, wenn man sich immer alle Türen offen hält?!
Dann zieht’s, mein Freund. Dann wird man krank.“

Marc-Uwe Kling

Ein „Nein“ ist auch okay

Man unternimmt gerne etwas mit Freunden oder erledigt etwas für jemanden. In der Summe können diese Dinge zusätzlich zu anderen Verpflichtungen aber zu viel werden. Ich musste daher lernen, dass ein „Nein“  als Antwort nicht persönlich gemeint ist und von meinen Freunden oder Bekannten auch nicht so aufgefasst wird. Im Gegenteil, sie haben mit Verständnis reagiert und befanden sich mitunter schon einmal in der gleichen Lage. Nur, weil ich mal eine Frage nach einem Treffen oder die Bitte um einen Gefallen verneine, bedeutet das nicht, dass sie mich weniger wertschätzen. Es bedeutet auch nicht, dass ich etwas verpasse – Fear of Missing Out hin oder her – wenn ich, nur halb anwesend, immer wieder auf die Uhr sehe, habe ich von dem eigentlich schönen Treffen mit Freunden sowieso nicht viel.

„Wenn ich zu einem Nachbarn oder Freund sage: »Ich muss los«, werde ich sofort verstanden, weil wir alle Leute sind, die demnächst losmüssen.“

Ralf Konersmann
Foto: pixabay

Ein Plädoyer für weniger vielleicht

Auf dem Boden meines Zimmers sitzend, fiel mir auf, dass ich versucht hatte, mit allem und allen mitzuhalten, um nichts zu verpassen und trotzdem möglichst produktiv zu sein. Dabei hatte ich jedoch vollkommen vergessen auf mich selbst zu achten. Vielleicht ist das auf die Schnelllebigkeit der Gesellschaft, durch die man sich gestresst fühlt, oder die augenscheinliche Produktivität aller anderen, die man mit der eigenen vergleicht, zurückzuführen. Die verständnisvolle Reaktion meiner Freunde und der Verzicht auf den Versuch alle Türen offenzuhalten, um stattdessen eine Balance aus Zu – und Absagen zu schaffen, haben mir seitdem geholfen, mehr Ruhe in meinen Alltag zu bringen. Ich will an den Orten, an denen ich bin, wieder mit voller Aufmerksamkeit sein, unabhängig davon, ob das auf einer Party ist oder auf dem Sofa, während die Party ohne mich stattfindet.

Sag „Nein“ mit Shakespeare

Ich glaube, ich musste einmal eine solche Phase der Überforderung erleben, um die Übersicht über die Dinge in meinem Alltag zurückzuerlangen und meine Aufmerksamkeit wieder darauf zu lenken, was mir gut tut und was nicht.  Das Neinsagen zu lernen war ein langsamer Prozess. Sätze aus Filmen oder Büchern habe ich allerdings schon immer gerne zitiert und so fand ich übergangsweise Rat bei Shakespeare. Sein Werk Hamlet war sozusagen eine Einführung in die Kunst des Neinsagens. Man kann wunderbar daraus zitieren, da steht nämlich in Akt 4, Szene 5, Vers 28: „Nein“.

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mm
Autor

mag Zimt, Zitate und Kurzgeschichten, würde gerne mal in ein Taxi steigen und sagen: "Bitte folgen Sie dem Wagen da vorne!"

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