Deckel auf, Müllbeutel rein, Tonne wieder zu, und auf Nimmerwiedersehen. Mit seinem Abfall hat man nicht viel zu tun, außer dass man ihn bestenfalls trennt und entsorgt. Den Rest regelt die städtische Müllabfuhr. Doch wer Thunfisch isst und Bier aus Dosen trinkt, wer Klopapier kauft und Spülmittel benutzt, der trägt Verantwortung und ist Teil des globalen Wirtschaftssystems, ob er will oder nicht.

Als hätte jemand mit einem Hang zu bildlicher Stimmung Regie geführt, weht heute, an einem Samstag im Februar, ein verdammt unangenehmer Wind in Flensburg. Und es ist arschkalt. In der Nacht vor dieser Erkundungstour über den Schrottplatz hat es gefroren und an jedem Gegenstand funkelt noch etwas Reif – gut für die Fotos, schlecht für die Füße.

Foto: Kevin Laske

Wer über das 140.000 Quadratmeter große Gelände des Flensburger Unternehmens Nord-Schrott wandert, der hat viel zu entdecken und lernt, in anderen Dimensionen zu denken. Hier läuft man nicht von vorne nach hinten oder von Ost nach West, sondern orientiert sich am Stahl-, Messing- oder Aluhaufen. Der Mitarbeiter, der über das Gelände führt und erklärt, muss nahezu brüllen, denn ständig transportiert irgendein großer Kran einen noch größeren Materialhaufen von A nach B, oder wirft alte Fensterrahmen in einen Schredder. Es ist unglaublich laut. Dieser Schrottplatz am Stadtrand ist so riesig, dass er wirkt wie das Spielfeld der ganz Großen, wie die Arena eines Unternehmens, das Welthandel betreibt.

Foto: Kevin Laske

Kein Ort für Nostalgiker

Wer mit Schrott handelt, tut das mit dem Abfall anderer Menschen, mit dem, was sie als überflüssig empfunden und entsorgt haben. Auf riesigen Haufen stapeln sich Felgen, ausgemusterte Schiffsschrauben, alte Schilder, Töpfe, Pfannen und vieles mehr. Was im ersten Moment irritiert, ist die Simplizität, nach der hier sortiert wird. Im Alltag entscheidet schließlich jeder für sich, welche Ding wertvoll sind und welche nicht. Auf einem Schrottplatz gelten anderen Regeln. Hier geht es nicht um „schön“, „praktisch“ oder „habe ich mal von meiner Oma bekommen“. Sortiert werden die Dinge nach Rohstoffen, das ist ihr Wert. Was zählt, sind nur materielle Beschaffenheit und Gewicht. Und so liegen auf dem Messing-Haufen Relikte alter, russischer Kaufmannsläden neben defekten Wasserhähnen von vorgestern. Die Erinnerungen, die einmal an den zahllosen Gegenständen hafteten, wurden längst mit ihrem Rausschmiss in die Tonne entsorgt.

Foto: Kevin Laske

Man muss sich schon hart zusammenreißen, um nicht seinem Instinkt nachzugehen, auf die Haufen zu klettern und auf Schatzsuche zu gehen. „Es ist ja so schade drum!“, schreit die innere Neugier. So viel Material, so viel Geschichte. Bei einem solchen Anblick überschlagen sich die Gedanken. Wer mit Schrott handelt, darf definitiv kein Messie sein. Für Sentimentalitäten bleibt in diesem Geschäft nämlich keine Zeit – eigentlich. Denn manchmal wird selbst der Nord-Schrott-Chef schwach, wenn seine Mitarbeiter ein Kuriosum aus dem Müll gefischt haben. Dann begutachtet das Firmen-Oberhaupt höchstpersönlich, welches Stück in seine Sammlung darf, die am Eingang, am Rande des Geländes und in den Büroräumen ausgestellt wird.

Foto: Kevin Laske

Ein Beispiel aus diesem Kuriositäten-Kabinett ist der Diktator Josef Stalin. Er blickt den Besuchern gleich aus verschiedenen Richtungen finster entgegen. Unübersehbar ist die massive Statue in Übergröße, die schon am Eingang das riesige Gelände zu überwachen scheint – direkt neben ihm Lenin, beide tragen die Firmenlogos in der Hand. Nord Schrott hat die gewaltigen Kolosse im Jahr 2013 von einem Händler in Riga gekauft und umbauen lassen. So ewas habe nicht jeder und es gehöre zur Geschichte, sagt das Unternehmen dazu, das insbesondere ab den 1990er Jahren regen Handel mit Russland und den alten GUS-Staaten trieb.

Foto: Kevin Laske

Von Flensburg in die Ferne

Damals wie heute sind die Prozesse ähnlich: Ein LKW kommt angefahren, lädt jede Menge Ware ab, die dann begutachtet und gruppiert wird. Mit diesem Gut betreibt das Familienunternehmen Handel. Derzeit sind es außer Deutschland in erster Linie auch Skandinavien, Kanada und die USA, mit denen Nord-Schrott Geschäfte macht. In asiatische Ländern werden Container mit Kleinstmaterialien verschifft, die Menschen aufwendig per Hand sortieren. Ein Überseecontainer von Flensburg nach Shanghai kostet etwa 1.000 Euro.

Foto: Kevin Laske

Niemand ist nur zu Besuch

Mit diesem Schrottbusiness hat man als einfacher Besucher auf den ersten Blick nichts zu tun. Doch wenn man auf seiner Erkundungstour über das Gelände zwischen riesigen Containern und großen Kränen plötzlich über alte PKW-Kennzeichen und verbeulte Slots-Dosen von der letzten WG-Party stolpert, dann wird einem bewusst, dass man alles andere als unbeteiligt ist. Niemand ist auf einem Schrottplatz nur ein Gast, sondern ein kleiner Teil einer großen Maschinerie, die deswegen funktioniert, weil alle mitspielen. Wer lässt heutzutage schon noch seinen angeknacksten Fernseher oder Boxen mit Wackelkontakt reparieren, wenn es preislich sinnvoll auch schicker, größer und lauter geht? Was seinen Dienst getan hat, wird knallhart aussortiert. Das Gerät landet auf dem Schrott, die Einzelteile auf Haufen, die Haufen in Containern, die Container auf dem Schiff, zurück in den Kreislauf.

Gute Reise und bis bald. Asien soll ja sehr schön sein.

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mm
Autor

sortiert ihren Kleiderschrank nach Farben, ekelt sich vor Federn, hat eine „Emu-Gnu-Schwäche" und immer ein Paar Gummistiefel im Kofferraum.

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