Not-to-do-Liste #29
Zu Leuten mit Migräne sagen: „Ich habe heute auch ein bisschen Kopfschmerzen…“
(aus „Das Känguru-Manifest“ von Marc-Uwe Kling)

Ich erinnere mich, dass ich schon als Kind recht häufig Kopfschmerzen hatte und in der Grundschule deswegen regelmäßig abgeholt werden musste. Diesen Schmerz kenne ich schon sehr lange als einen Teil von mir. Doch erst seit 2015 weiß ich, was es heißt, wirklich Kopfschmerzen zu haben. Jede Minute des Tages über ein ganzes Jahr hinweg. Keiner konnte mir erklären, woran es lag oder wie es aufhört – bis ich endlich einen Termin beim Schmerztherapeuten hatte. Das dauerte aber…

Es ist unglaublich faszinierend zu sehen, was und vor allem wie etwas unserem Körper in Erinnerung bleibt. Während ich diese Zeilen verfasse, meldet sich mein Schmerzgedächtnis zurück. Das Thema bereitet mir im wahrsten Sinne immer noch Kopfschmerzen. Und das obwohl es mir mittlerweile wieder gut geht. Hier zeigt sich ansatzweise, was passiert, wenn ein Schmerz chronisch wird.

Foto: Lennard Wencke

Doch fangen wir vorne an

25. Oktober 2015: Es wird ernst an der Uni. Ich befinde mich im Kolloquium und bereite mich auf die Bachelorarbeit vor. An und für sich ist es ein ganz normaler Tag in der Bib. Bei der Literaturrecherche vergrabe ich mich in Fachbüchern und durchforste intensiv Online-Datenbanken. Als für einen Moment meine Konzentration nachlässt, merke ich, dass ich drückende Kopfschmerzen habe. Ich schiebe es auf das wenige Trinken, nehme aber sicherheitshalber auch eine Ibu 400. Schließlich bin ich vertraut mit Kopfschmerzen und darauf vorbereitet.

Direkt nach der Bib geht es mit etwa 15 anderen Kommilitonen ins Kolloquium. Wir sitzen zusammengepfercht in einem winzigen Raum ohne Sauerstoff und wälzen unsere Bachelorarbeits-Ideen hin und her. Ich kann mich dabei aber nicht so recht konzentrieren: Mir wird heiß (ich friere sonst immer und überall), einfach nur kotzübel und mein Kreislauf fährt Achterbahn. Gefühlt starrt mich jeder an, so dass ich wie festgewachsen auf meinem Stuhl sitzen bleibe, obwohl ich nichts lieber getan hätte, als rauszurennen. Irgendwie überstehe ich die anderthalb Stunden, eine Freundin begleitet mich noch zur Bahn und ich konzentriere mich dabei nur auf einen Schritt nach dem nächsten. Zuhause lasse ich mich nur noch ins Bett fallen. Doch mit Schlaf wird es diese Nacht nichts: Ich komme einfach nicht zur Ruhe und kriege trotz körperlicher Erschöpfung kein Auge zu.

Eine Woche und mehr

Nachdem ich die Kopfschmerzen einfach nicht loswerde und jeden Tag fast auf die Minute genau gegen 16 Uhr den Höhepunkt meiner Kopfschmerzen erreiche, die mich zur (Bett-)Ruhe zwingen, suche ich Hilfe bei meinem Hausarzt. Seine Diagnose: Spannungskopfschmerzen auf Grund von einer verspannten Nackenmuskulatur.

Das ist nicht weiter verwunderlich, in Anbetracht dessen, dass ich den ganzen Tag über für die Bachelorarbeit am Laptop sitze plus die 20 Stunden, die ich als Werkstudentin ebenfalls am Schreibtisch verbringe. Ich versuche es mit Physio, ambulanten Betäubungsspritzen in den Nacken, Muskelrelaxantien und Schmerzmitteln. Aber nichts verschafft mir Schmerzfreiheit. Noch nicht einmal wirklich Linderung.

Foto: Karen Bartel

2016: Odyssee der Fachärzte

Also beginnt die Ursachensuche von vorne. Kann es nicht auch Migräne sein, versuche ich nachzuhaken. Nein, das ist ausgeschlossen, denn ich habe ja durchgehend Kopfschmerzen. Mit einem beachtlichen Bündel an Überweisungen ziehe ich nun von Facharzt zu Facharzt. Beharrlich, wenn auch langsam durch die langen Wartezeiten bei der Terminvergabe kämpfe ich mich durch.

  1. Versuch: Der Orthopäde kann mir nicht weiterhelfen. Die kostspielige Trigger-Akupunktur ist bei mir erfolglos.
  2. Versuch: Beim Radiologen wird durch ein MRT ausgeschlossen, dass ich einen Tumor habe (wenn man so lange Kopfschmerzen hat und nicht weiß woran es liegt, ist das einfach eine Horrorvorstellung, die irgendwann in Dauerschleife abläuft…), aber herausgefunden, dass meine Nasenscheidewand schief ist.
  3. Versuch: Beim Zahnarzt bekomme ich eine Bruxismus-Schiene angefertigt, da ich nachts Knirsche (und mir schon meinen rechten Schneidezahn abgewetzt habe). Die Schiene hilft schon mal, aber los werde ich meine Kopfschmerzen durch sie nicht.
  4. Versuch: Als nächstes wird beim Neurologen ein EEG gemacht und meine Hirnströme gemessen. Alles normal.

Jeder der Ärzte kann mir nur sagen, was es nicht ist – aber nicht, woher meine Schmerzen kommen und wie ich sie wieder los werde. Doch der Neurologe ist zumindest der Erste, der mir ein Medikament verschreiben kann, das tatsächlich hilft. Es ist eigentlich ein Anti-Depressivum, welches aber unter anderem dazu eingesetzt wird, das Schmerzgedächtnis zu löschen. Und da ich nun schon ein paar Monate mit den Kopfschmerzen lebe, ist es auch sehr wahrscheinlich, dass sie mittlerweile chronisch sind.

Ein langer Weg bis zum Schmerztherapeut

Mitte April stellt mir mein Hausarzt eine Überweisung zum Schmerztherapeuten aus. Ein Lichtblick, der
sogleich wieder getrübt wird: Auf einen Termin muss ich noch drei Monate warten. Die Tage des Kopfschmerzes sind gezählt, doch noch halten sie an. Vorerst kann ich etwas aufatmen denn das vom Neuro­logen verschriebene Medikament schlägt gut an. Was bleibt ist ein dumpfer Druck und gelegentliche Attacken, gepaart mit Übelkeit und Schwindel, die mich übermannen. Nichts im Vergleich zu vorher, dennoch bin ich noch nicht am Ziel angekommen. Wenn man solch einen Schmerz für eine lange Zeit aushalten muss, dann hinterlässt das auch Spuren im seelischen Wohl.

Um das Gefühl zu haben, wenigstens irgendetwas zu tun, bis ich beim Schmerztherapeuten an der Reihe bin, suche ich einen Psychotherapeuten auf. Mich regelmäßig einer neutralen Person mitzuteilen, die mir nicht wie viele andere „Reiß dich doch zusammen!“ entgegnet und durch sie eine andere Sichtweise auf die Schmerzen zu bekommen, fühlt sich unglaublich befreiend an.

Der lang erwartete Termin beim Schmerz­therapeuten bringt endlich den Durchbruch. Nach einem kurzen Wortwechsel kann der Arzt mir direkt sagen, dass ich es mit zwei verschiedenen Arten von Kopfschmerzen zu tun habe: dem durchgehenden Kopfschmerz, hervorgerufen durch die Verspannung der Nackenmuskulatur, und einer Migräne, die sich obendrauf gesetzt hat. Durch diese habe ich abends stärkere Kopfschmerzen in Verbindung mit ­anderen Beschwerden, die mich zur Flucht vor dem Lärm und Stress des Alltags in mein Bett treiben. Die richtige Kombination aus Migräne-Medikamenten vertreibt dann auch die letzten Schmerzen. Die Lösung ist so simpel und doch brauchte es ein Dreivierteljahr, um sie präsentiert zu bekommen.

Wie der Schmerz mein Leben bestimmte

Während dieser Monate war es mir unmöglich, ­meine Bachelorarbeit zu schreiben. Zum Glück hatte ich einen verständnisvollen Prof, der mir so viel Aufschub gewährte wie nötig. Der Fortschritt meiner Bachelorarbeit war zäh und immer wieder von ­Pausen begleitet, damit die Kopfschmerzen nicht wieder überhand gewannen. Letztendlich kam die Note auch nicht an meine Erwartungen heran, aber im Rückblick auf das vergangene Jahr war das okay. Ich habe gelernt, dass zu viel Perfektionismus und Ehrgeiz üble Folgen haben können. Der Körper kann solche Leistungen nur in einem gewissen Maß vollbringen, danach geht er in einen Streikmodus über. Seitdem versuche ich mehr und vor allem früher auf meinen Körper zu hören und den Anspruch an mich selbst etwas herunterzuschrauben. Wir sind gut, so wie wir sind und sollten nicht zu hart mit uns sein.

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mm
Autor

sieht in jedem Buchstaben eine bestimmte Farbe, spricht bis heute noch manchmal Salamander als „Salmanander“ aus und Michel aus Lönneberga mit seinen Streichen war ihr als harmoniebedürftiges Kind zu unartig.

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