Räumung der Luftschlossfabrik – Ignoranz oder Notwendigkeit?

Am 3. Februar war Schluss mit Träumereien am Harniskai: Die Luftschlossfabrik verpufft mit einem lauten Knall. Laut vor allem, weil zwei Extreme aufeinander prallten – geballte Staatsgewalt und trotzende Autonomie. Fast vier Monate nach dem Showdown ist auf dem leergefegten Gelände am Flensburger Ostufer nicht mehr viel zu sehen. Doch am Konflikt um das Grundstück scheiden sich noch immer die Geister.

Das Einzige, was noch fehlte, war ein Gastauftritt von Til Schweiger. Ansonsten hätte wohl kein Regisseur das Ende der Luftschlossfabrik besser inszenieren können. Es war alles dabei: Wasserwerfer, Feuerwerkskörper, jede Menge Wurfmaterial, Barrikaden, Megaphon, Polizisten mit Schlagstöcken, vermummte Rebellen, heldenhaftes Anketten und provozierende Sprüche auf Bannern und Bettlaken. Sogar die Küstenwache und ein kleiner Panzer haben es rechtzeitig geschafft. Zweieinhalb Stunden lang ging es rund, dann fiel auch die letzte Festung des Luftschlosses – ein selbst gebauter Turm, in dem sich zwei Verteidiger verschanzten.

Video: Victoria Lippmann, shz.de

Es waren Bilder, die an Dramatik kaum zu überbieten waren. Medien in ganz Deutschland nahmen diese Einladung dankend an und berichteten über die Räumung. „Uns war klar, dass die Barrikaden aus Holz, Autoreifen und Möbeln nicht halten würden, sondern lediglich gewaltig aussehen. Aber wir wollten, dass die Räumung ein Medienspektakel wird, damit darüber geredet wird – langfristig“, sagt Sarah Leichnitz. Sie hat mit ihrem Hund in einem Bauwagen am Harniskai gewohnt und agierte zuletzt als Sprecherin der Luftschlossfabrik.

Viva la revolución?

Die ehemaligen Bewohner fühlen sich von der Stadt ungerecht behandelt. Schließlich haben sie einen Raum für ihre Ideen nutzbar gemacht, der zuvor brach lag und für den sich scheinbar niemand interessierte. Ein Rückblick: Nachdem die Luftschlossfabrikanten im Frühsommer 2013 die verriegelten Schlösser geknackt hatten, machten die Besetzer und andere Freiwillige das lehrstehende Gelände am Harniskai bewohnbar. Sie richteten die einstigen Büroräume wieder her, reparierten von Vandalismus gezeichnete Leitungen und bauten Projekte wie eine Fahrrad- und Autowerkstatt, einen Umsonstladen oder Proberäume für Bands auf. Ihre Ambition: Kulturelle Angebote schaffen, an denen sich jeder Bürger beteiligen kann.

Streit ums Gelände

Die Stadt duldete diese Aktivitäten mit zugedrücktem Auge, legalisierte die Besetzung aber nicht. Der Harniskai war für sie ohnehin kein gutes Pflaster – hier hatte man sich im Jahr 2010 mächtig verschätzt, als man das Grundstück an die Firma Tycoon Immobilien GmbH verpachtete. Ihre Geschäftsführerin Barbara Geisel versprach, Luftboote zu bauen und für wirtschaftlichen Aufschwung zu sorgen. Doch die Investorin schlug niemals auf. Weil das Gelände aber an sie per Erbrechtsverfahren verpachtet war, waren der Politik die Hände gebunden. Das bedeutet: Erst wenn das Gelände wieder an die Stadt zurückfällt, darf sie es für eigene Zwecke nutzen.

Die Erlösung kam am 11. Dezember 2014, als das Oberlandesgericht Schleswig die Rückgabe des Grundstücks an die Stadt Flensburg beschloss. Mit diesem Urteil wurde gleichzeitig die Luft für das Traumschloss dünner. Denn von nun an standen sich zwei Interessen gegenüber: Auf der einen Seite die Besetzer des Geländes, die ihr Projekt nicht aufgeben wollten, auf der anderen Seite die Stadt, die einen Entwicklungsplan für das gesamte Flensburger Ostufer verfolgte und die illegale Luftschlossfabrik darum um die Räumung des Geländes bat. Wer in dieser Verhandlung die besseren Karten hat, liegt auf der Hand.

Der Bagger rollt an

So kam es, wie es kommen musste: Die Ratsversammlung der Stadt engagierte einen Gerichtsvollzieher, der der Luftschlossfabrik bis zum 31. Januar 2016 Zeit gab, das Gelände zu verlassen. Als dies nicht geschah, ließ er es mithilfe von u. a. 220 Polizisten, dem Technischen Betriebszentrum TBZ, einem Transport- und einem Abbruchunternehmen räumen – inklusive Abriss aller Räumlichkeiten, um ein Wieder-Ansiedeln zu verhindern. Mehrere hundert Tausend Euro hat dieser Einsatz gekostet.

Stehen geblieben ist nach dieser Aufwendung nichts. Gar nichts. Kein Gebäude, kein Baum, kein Grashalm. Auch die Lehmhütte, die eine Gruppe von Chilenen in mühseliger Arbeit errichtet hatte, ist längst platt und wird zusammengefasst unter dem Kostenpunkt „Müllentsorgung“, welche am Ende mehr als 100 Tonnen umfasste. Die Stadt kann sich nicht beschweren, wenn man ihr an dieser Stelle Ignoranz vorwirft.

Foto: Lennard Wencke

„Es ist alles zerstört, wofür wir jahrelang aus liebevoller Überzeugung gearbeitet haben“, beklagt Sarah. Ihre wichtigsten Siebensachen hätten die Besetzer vor der Räumung in Sicherheit gebracht, außerdem sei der Gerichtsvollzieher kurz vor dem Abriss noch einmal durch die Räumlichkeiten gegangen, um Wertgegenstände zu retten. „Aber er hat auf 2.000 m² nichts als wertvoll genug erachtet.“

Ist das Kunst, oder kann das weg?

Auf den ersten Blick wirkten die Dinge, die sich bei der Luftschlossfabrik türmten, vielleicht nicht bergungswürdig. Oft mussten sich die Luftschlossfabrikanten die Kritik gefallen lassen, das Gelände sei vermüllt. „Aber das, was die meisten Menschen als Schrott betrachten, haben wir gesammelt, um es als Baumaterial zu nutzen“. Gereicht hätten diese Mengen wohl für Jahrzehnte der Kreativität.

Nun ist nicht mehr viel übrig von der großen Idee. Die einstigen Bewohner leben verstreut – viele stehen mit ihrem Bauwagen auf der Europawiese, einem unbefestigten Gelände ohne Wasser- und Stromanschluss, neben der ehemaligen Luftschlossfabrik. Der Rest ist bei seinen Eltern, anderen Wohnprojekten, Bauernhöfen oder in Wohnungen untergekommen. Der Verein „Libertäres Kulturkollektiv Luftschlossfabrik“, der laut Sarah nicht an das Harniskai-Gelände gebunden ist, existiert zwar noch, veranstaltet zurzeit aber nur ein paar Soli-Partys, um die Anwaltskosten zusammenzukratzen.

Foto: Lennard Wencke

Der Verein muss nun zeigen, dass mehr hinter dem autonomen Kulturprojekt steckt. Am liebsten möchte er seine Aktivitäten auf einem zentral gelegenen, großen Ersatzgelände fortsetzen – das sind hohe Ansprüche. Von einem Zuhause mit First-Class-Panoramablick auf den Flensburger Hafen träumt wohl jeder. Dass das nicht einfach kostengünstig einer einzelnen Gruppe zur Verfügung gestellt werden kann, leuchtet ein. „Die Stadt fühlt sich allen Flensburgern im gleichen Maße verpflichtet. Keiner soll bevorzugt oder benachteiligt werden“, erklärt Kathrin Ove, Mitarbeiterin der Pressestelle der Stadt Flensburg. Da gibt es keine Extrawurst, auch nicht für die Luftschlossfabrik. Zumal der eigene Anspruch, ein zugängliches Kulturprojekt für alle Flensburger zu sein, schwierig zu erfüllen ist. Denn der unkonventionelle Lebensstil der Luftschlossfabrikanten ist nichts für jedermann.

Wie geht’s weiter am Harniskai?

Der Streit zwischen Rathaus und Bauwagen war und ist kein Vorzeigekonflikt. Von Seiten der Luftschlossfabrik hagelt es Vorwürfe, man habe keine reale Chance gehabt und die Stadt hätte hinter verschlossener Tür die Fäden gezogen. In Flensburg sei für alternative Wohn- und Kulturprojekte kein Platz, wenn wirtschaftliche Interessen im Raum stehen. „Wir wissen aber auch, dass wir selbst Fehler gemacht haben. Wir hätten zum Beispiel früher Strukturen entwickeln und einen Verein gründen müssen“, räumt Sarah ein. Das geschah erst im Januar 2016, als es eigentlich schon zu spät war.

Die Stadt wiederum steht nun unter scharfer Beobachtung. Auf ihr lastet der öffentliche Druck, aus der Freifläche etwas zu machen, das den Flensburgern gefällt. Der ausgerufene Ideenwettbewerb soll Bürgern ermöglichen, mit einem überzeugenden Konzept den Harniskai bis zum Jahr 2018 zu gestalten – und ganz nebenbei für Versöhnung sorgen. Bedingung: „Diese besondere Fläche für alle Flensburger nutzbar zu machen. Kulturell, sportlich oder gastronomisch, kommerziell, oder auch nicht“. Man sei offen für alles, steht auf der Webseite des zuständigen Sanierungsträgers. Nach Ende dieses Projekts entscheiden die städtischen Gremien über die endgültige Nutzung des Geländes – auf Basis „Vorbereitender Untersuchungen“.

Raum für Ideen?

Wichtig ist: Das Eigenengagement der Bürger muss gefördert, nicht erstickt werden. Wünschenswert ist es, dass der Harniskai auch in Zukunft zu einem vielfältigen Stadtbild beiträgt. Denn alternative Projekte und Lebensformen gehören genauso dazu wie formvollendete Reihenhäuser und Schrebergärten. Ein gewisses Maß an Aus-der-Reihe-Tanzen muss erlaubt sein – solange man dabei niemandem schmerzhaft auf die Füße tritt.

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mm
Autor

sortiert ihren Kleiderschrank nach Farben, ekelt sich vor Federn, hat eine „Emu-Gnu-Schwäche" und immer ein Paar Gummistiefel im Kofferraum.

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