Dialekt ist wie eine kleine Pflanze, die man hegt und pflegt. Beim Umzug wird sie umgetopft, passt sich der neuen Umgebung an, schlägt vielleicht sogar neue Wurzeln. Eventuell verwächst sie sich jedoch auch mit der Zeit. Um das Beibehalten sowie das Sprechen des Dialekts geht es mir primär aber gar nicht, sondern viel eher um die Frage der sprachlichen Zugehörigkeit. Ich kann ein paar Sprachvarietäten, aber wie es scheint keine so richtig und genau darin liegt mein Problem: Ich fühle mich sprachlich nicht verwurzelt.
Sag‘ einen Satz und ich sage dir, woher du kommst
Sie ist gar nicht so einfach, diese Anhänglichkeit des Dialekts. Ziehst du um, kommt er mit. Man schnackt im Norden, man ratscht im Süden. Nach dem Umzug ist es umgekehrt. Sprache ist die linguistische rote Nadel in Google Maps. Schon nach ein paar Minuten erfolgt die geografische Einordnung und der Gesprächspartner wird in der Sprachlandschaft festgepinnt. Vor allem zu Beginn meiner Zeit in Flensburg geschah dies häufig durch den Satz: „Du kommst doch aus Bayern, ne?!“ Auf meine bejahende Antwort folgte meist: „Joa, das dachte ich mir. Das hört man.“ Dieser erkennbare bayerische Einschlag, wenn ich spreche, würde mich aber gar nicht so sehr stören, wenn ich den Dialekt auch richtig sprechen könnte. So wie ich in Flensburg durch die regional gefärbte Sprache auffalle, falle ich mitunter im Bekanntenkreis in Bayern auf, weil ich im Vergleich wenig Dialekt spreche. Anstatt des Gefühls der sprachlichen Verbundenheit und Zugehörigkeit zu einer Sprachvarietät ist das mehr so eine Leerstelle: Entwurzelung statt Verwurzelung.
Mein Sprachdreieck: Schwäbisch trifft Bayerisch trifft Hochdeutsch
Das Gefühl des Fehlens einer eindeutigen sprachlichen Identität bedarf einer kleinen Reise in meine Sprachhistorie. Die Frage nach der Zugehörigkeit hat bei mir nicht nur einen Haken, sondern drei. Ich bin gebürtige Bayerin und im blau-weißen Süden aufgewachsen, meine Eltern kommen aber aus der Gegend um Stuttgart. In meiner Familie wurde noch nie richtig Dialekt gesprochen, daher habe ich Bayerisch erst im Laufe der Zeit gelernt. Ich kann es besser verstehen als sprechen, bei Wortschatzfragen hakt es öfter mal. Ähnlich verhält es sich mit dem schwäbischen Dialekt, den mir vor allem meine Großmutter vermittelt hat. Meine Kenntnisse dieser Sprachvarietät sind aber ebenfalls zu gering, um mich eindeutig damit zu identifizieren und überzeugt sagen zu können, ich beherrsche sie in Gänze. Ich kann Bayrisch, Schwäbisch und Hochdeutsch, aber anscheinend keine der Sprachvarietäten so richtig: den Dialekten fehlen die sprachlichen Wurzeln, dafür hat meine gesprochene Standardsprache einen dialektalen Zuwachs.
Eine bayerische Gefühlssache
Wenn ich versuche konsequent Dialekt zu sprechen, fühle ich mich komisch dabei. Das ist so, als würde ich mich mit Worten verkleiden, die mir nicht ganz passen. Zudem ließ der immer wiederkehrende Verweis darauf, dass die eigene Sprachvarietät nicht zu der der Umgebung passt, bei mir Zweifel an der eigenen Sprachvarietät und am Sprachvermögen aufkommen. Was und wie konnte ich denn jetzt überhaupt sprechen?! Einer Phase der ständigen Reflexion meines Sprechverhaltens folgte langsam, aber allmählich der Entschluss, das vermeintliche Problem nicht mehr so ernst zu nehmen und das Gefühl der sprachlichen Entwurzelung als Auslegungssache zu betrachten. So gesehen bin ich statt entwurzelt mehrfach verwurzelt und das bayerische Naturell bleibt ein grundlegender Teil von mir, auch wenn es nicht zwangsläufig durch Sprache zum Ausdruck kommt.
Ich will verwurzelt sein: hier, dort und überall ein bisschen
Schließlich ist meine kleine sprachliche Wanderung von West nach Ost und Süd nach Nord auch eine Frage der Akkommodation. Meistens erfolgt mit der Zeit ja doch eine Anpassung an regionale Sprachvarietäten in irgendeiner Form. So wie ich bayerische Begriffe übernommen habe, fällt nun bei Besuchen in der Heimat auf, dass auch einige norddeutsche Eigenheiten in meiner Sprachvarietät zu finden sind. Nach längeren Aufenthalten in der Heimat wird umgekehrt der bayerische Sprachanteil wieder dominanter. Ich habe für mich beschlossen, dass man in Sprachvarietäten hineinwachsen kann. Meine Sprachvarietät kann anhand einer Wanderroute mit roten Nadeln dargestellt werden, die ihre Bestandteile symbolisieren. Dabei stellt sich an jeder Station vor allem auch die Frage des Verwurzelt-sein-Wollens.