Manchmal fragt man sich doch, wie es wohl wäre, wenn das Leben ein Film wäre. Auf einmal ist da Musik, jede Geste wirkt bedeutungsvoller, alle Bilder haben eine höhere Auflösung. Zudem fokussiert die Kamera auf Details, die Windmaschine arbeitet, Licht und Schatten werden entsprechend abgestimmt. Doch egal, ob es sich, wie in diesen kurzen Szenenbeschreibungen, um einen Besuch im Supermarkt, ein Blind Date in einer Bar oder eine Zugfahrt handelt: der Alltag ist voller potentieller Filmszenarien.

Szenario #1 – Der Gang zum Supermarkt in Corona-Zeiten

Verwaiste Straßen; Schaukeln schwingen quietschend hin und her, als wäre unlängst jemand von ihnen abgesprungen; der Wind treibt eine Zeitungsreklame über den leeren Parkplatz, Leuchtbuchstaben auf einem Plakat an einer Litfaßsäule bewerben immer noch beharrlich eine Party, die nächstes Wochenende hätte stattfinden sollen, aber längst abgesagt wurde. Ein Überbleibsel aus der Zukunft. Die eigenen Schritte klingen lauter als sonst, Kies knirscht, dunkle Wolken ziehen auf. Ein hastiger Blick über die Schulter, aber niemand ist zu sehen. Man strebt einer Tür entgegen, unwissend, was einen erwartet. Die Tür öffnet sich. Ein Raum voller Gesichter, die von Masken bedeckt werden. Behandschuhte Gestalten huschen umher und unwillkürlich hat man das Gefühl beobachtet zu werden. In diesem Raum sind überall Augen. Augen, deren Blicke unter dem grellgelben Neonlicht noch eindringlicher werden. Licht flackert, Stimmen dringen unter den Masken hervor. Eine der Gestalten kommt langsam, ganz langsam näher, bleibt in einer Entfernung von zwei Metern stehen. Sie hebt wie in Zeitlupe die Hand, scheint dabei etwas zu sagen und zeigt auf mich. Sie verharrt und wartet auf etwas; aber auf was? – Ach ja, sie möchte an das Regal und ich stehe davor.

Szenario #2 – in der Bar

Ein sommerlicher Freitagabend in der Großstadt, die Lichter und geöffneten Türen der Bars und Cafés laden dazu ein, noch etwas länger wachzubleiben. Der Sonnenuntergang war sehr schön, gerade so, als wollte er ein Ausrufezeichen hinter diesen Tag setzen, der jedoch noch lange nicht vorbei ist. Sie sitzt an einem Tisch in ihrer Lieblingsbar. Von hier kann sie direkt zur Theke sehen. Vor ihr steht ein Glas Weißwein, sie hat die Beine übereinander geschlagen und wippt leicht mit dem Fuß. Sie scheint nervös auf etwas zu warten. Immer wieder streicht sie sich eine Haarsträhne hinter das Ohr. Sie legt ihr Handy auf den Tisch. Ein paar Frauen setzen sich an den Nebentisch, doch sie interessiert sich nicht sonderlich für sie. Sie lässt den Blick über all die anderen Leute in der Bar schweifen, während sie sich fragt, wie man das Gefühl haben kann, sich zu kennen, obwohl man sich erst noch kennenlernen muss. Es ist viel los in der Bar, die Gäste sind durstig. Ein paar Leute, die mit ihren Getränken vor der Theke standen, setzen sich an einen Tisch. Dadurch wird die Sicht auf die Hocker an der Theke frei. Ihr Blick fällt auf den Mann, der dort sitzt. Er nippt an einem Rotwein und sieht auf sein Handy. Sie überlegt, ob er es ist. Er scheint eine Nachricht zu tippen, bevor er das Handy in die Tasche steckt, um sich anschließend in der Bar umzusehen. Ihre Blicke treffen sich. Er runzelt die Stirn, scheint etwas fragen zu wollen. Während er aufsteht und zu ihrem Tisch hinübergeht, sieht sie, dass sie eine neue Nachricht auf ihrem Handy hat. Die Nachricht ist von ihm. „Bist du schon da?“.

Szenario #3 – eine Zugfahrt

Das Rattern des Zuges auf den Gleisen ist ein stetes Hintergrundgeräusch. Wenn die Lok über eine Weiche auf ein anderes Gleis wechselt, wackelt der ganze Zug ein bisschen und auch die Fahrgäste schunkeln ganz leicht in den Sitzen des Waggons. Ein Kind, dessen Gesicht sich in der Scheibe spiegelt, sieht zum Fenster hinaus. Der Vater beobachtet sein Kind, wie es so gedankenverloren neben ihm sitzt. Was sie nicht wissen, ist, es ist schon jemand auf dem Weg zu ihnen. Aber noch ist alles ruhig, draußen ziehen Felder und Häuser vorbei. Die Sonne kämpft sich durch den Nebel über den Wiesen und malt Muster auf die Wände des Abteils. Nach einigen Minuten schließt der Vater die Augen, um sich ein bisschen auszuruhen. Er scheint müde und etwas erschöpft zu sein. Das sachte Rütteln des Waggons wiegt ihn allmählich in den Schlaf. Doch die Arbeit verfolgt ihn auch dorthin und ein paar Erinnerungen an die letzten Wochen im Büro schleichen sich in seine Träume. DOch auf einmal spürt er, dass jemand direkt neben ihm steht. Er zuckt zusammen, öffnet die Augen und versucht blinzelnd im Gegenlicht die Person zu erkennen. Diese sieht ihm direkt in die Augen, neigt den Kopf leicht zu ihm und sagt: „Guten Morgen, Ihr Fahrschein bitte!“

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mm
Autor

mag Zimt, Zitate und Kurzgeschichten, würde gerne mal in ein Taxi steigen und sagen: "Bitte folgen Sie dem Wagen da vorne!"

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