„Schmier da mal noch mehr Mett rauf, das sind die Kunden gewohnt“, empfiehlt Sanne und schneidet weitere Brötchen auf. Noch mehr? Meine Güte. Aber egal, Zeit sich zu wundern bleibt nicht, der Motor muss laufen. Denn früh morgens platzt die Brötchentheke im Kiosk am Burgplatz aus allen Nähten. In der Rush Hour stehen darum mitunter vier Mitarbeiterinnen gleichzeitig hinterm Tresen. Und heute bin auch ich mit dabei und soll zur Kundenzufriedenheit beitragen. Na dann mal los.

„Einen Kaffee und ein Käsebrötchen, bitte“, spricht mich jemand an. „Was kostet das?“ Jo, das wüsste ich auch gern, denke ich. Leider arbeite ich erst seit fünf Minuten hier und bin minimal bis volle Möhre überfragt. Glücklicherweise steht Urte nur ein paar Meter entfernt. „99 Cent jeweils“, ruft sie und ist schon wieder weg, unterwegs in Richtung Tabak-Ecke. Urte ist ein Ass in ihrem Job und hat alle Preise im Kopf – vom Schokoriegel über Blättchen bis hin zu Dosenbier und Klopapier: Genau 1304 unterschiedliche Produkte hat sie bei der letzten Inventur gelistet und alle zugehörigen Preise wie auf Knopfdruck parat. Das ist mein Glück.

Urte und die anderen Burgplatz-Ladys sind ein eingespieltes Team und haben alles fest im Griff. Bricht vor dem Tresen das Chaos aus, läuft dahinter alles schnell und routiniert ab – nicht nur, weil Tina, Karin, Jule, Sanne und die Anderen wissen, was zu tun ist, sondern auch, weil sich die ersten Mitarbeiterinnen bereits viele Stunden vor Morgengrauen treffen, um alles vorzubereiten: um 3:15 Uhr – das ist sogar für Frühaufsteher eine unangenehme Zeit. Als Ein-Tages-Praktikantin wird man in diesem Punkt Gott sei Dank geschont und darf später anfangen. Ansonsten ist man genauso gefordert wie alle Anderen und findet kaum eine Minute, um sich auf die Schnelle ein paar Preise einzuprägen oder die Liste zu studieren, auf der Kioskbesitzer Gerd akribisch notiert hat, welche Zutat auf welches Brötchen gehört. Es geht gleich rein ins kalte Wasser, und das ist auch gut so. Denn nur wenn man Gurken, Zwiebeln und Tomaten schneidet, Oettinger unter die Leute bringt und Stammkunden kennenlernt, stellt sich echtes Burgplatz-Feeling ein.

Alles was in Flensburg Rang und Namen hat, oder eben gerade nicht, schlägt beim „Kiosk im Brennpunkt“ auf, wie ihn die Mitarbeiterinnen manchmal sarkastisch nennen: Schüler, Studenten, Leute von der DIAKO, Müllmänner, Arbeitslose, Rentner, Alkoholiker und alle Anderen, die man sich sonst noch vorstellen kann. Viele der Kunden werden von den Angestellten persönlich begrüßt; Frau Carstens zum Beispiel, die jede Woche am Lottostand einen Fünfer einsetzt für den Versuch, mit ihren Zahlen das große Los zu ziehen. Jule bedient sie und erkundigt sich nach Frau Carstens‘ Rückenbeschwerden. Gut gehe es ihr nicht, antwortet die alte Dame. Starke Schmerzen habe sie, aber nächste Woche gehe es zur Physiotherapie. Bis dahin gibt es vom Kiosk am Burgplatz ein bisschen Medizin für’s Herz: Jule greift in die Naschi-Box und holt einen Nugat-Bonbon raus – Nappo, um genau zu sein: „Geht auf’s Haus.“

Oder besser gesagt, geht auf Gerd. Ihm gehört der Laden seit 2005. Nach seiner Rückkehr aus Amerika, wo er eine Zeit lang segelte, übernahm Gerd das einstige Spiel- und Schreibwarengeschäft. Weil es mit dem nicht gut lief, verhökerte er die Ladenhüter und stieg ins klassische Kiosk-Geschäft ein. Das wiederum funktionierte so gut, dass Gerd die Verkaufsfläche schon zwei Mal vergrößert hat und mittlerweile zwölf Angestellte beschäftigt.

Erzählt Urte, dass ihr Chef und sie den Laden gemeinsam in Schwung gebracht haben und beste Freunde geworden sind, werden einige Stunden später unter den Kollegen Rubbellose ausgegeben und Lebensweisheiten ausgetauscht, dann ist man geneigt, den Burgplatz-Kiosk als fantastischen Arbeitsplatz zu klassifizieren. Gäbe es da nicht diesen einen großen Haken, der das Bild gewaltig trübt: Nicht alle Kunden wollen bloß Cappuccino, Tabak oder eine Naschi-Tüte kaufen – einige interessieren sich vielmehr für den Inhalt der Kasse oder haben viel zu tief ins Glas geschaut. Ist Stress angesagt, ist Schluss mit all der Heiterkeit, dann gibt’s Hausverbot und einen Anruf beim Sicherheitsdienst. Kunden, die die Angestellten beschimpfen, bespucken oder sich prügeln, sind zwar die Ausnahme, aber existent. Vor knapp drei Jahren wurde deutlich, dass es ohne Alarmanlage, eine permanente Videoüberwachung und den Beistand von Muskelmännern mit Funkgeräten nicht mehr geht. Der Sicherheitsdienst kümmert sich um unangenehme Gäste und begleitet außerdem die Angestellten bei ihrer Frühschicht in den Laden. Vor ein paar Monaten wurde der Kiosk zuletzt überfallen.

In den Abendstunden wird es im Kiosk zunehmend leerer. Zwar fällt mein Praktikumstag auf einen Dienstag und nicht auf Freitag oder Sonntag, aber dass seit 19 Uhr kaum noch etwas los ist, wundert mich dann doch. Karins Erklärung dafür ist aber eigentlich ganz einfach: „Die nächtliche Stammkundschaft hat am Monatsende kein Geld mehr.“ Verdammt, daran hatte ich nicht gedacht. Die Crew habe ich dann wohl um eine Woche verpasst

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mm
Autor

sortiert ihren Kleiderschrank nach Farben, ekelt sich vor Federn, hat eine „Emu-Gnu-Schwäche" und immer ein Paar Gummistiefel im Kofferraum.

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